Wer diesen Post von mir anklickt und denkt hier geht es um das Aufgreifen von Fäkalwörtern und der Gossensprache, der irrt. Ich muss euch enttäuschen. Es geht um den Titel und Inhalt eines Buchs.
Sprache unterliegt einem permanenten Wandel und so manches Fäkalwort von früher ist heute akzeptiert. Nur wenige können sich dem entziehen, auch Menschen die nun das Gegenteil behaupten, könnte ich hier nun schnell des Irrtums überführen. Aber darum soll es ja nicht gehen.
In der Finanzbranche, der ich viele Jahre angehörte ist das Wort „Bullshit“ ein fester Begriff. Fast schon ein Fachwort. Und das ist mein Ernst.
Ich möchte einen Rückblick auf eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2005 wagen. Der Amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt veröffentlichte ein Buch, dass für großes Aufsehen sorgte. Sein Titel: „On Bullshit“.
Er beschreibt in diesem Buch einen Trend, der überall klar zusehen ist. Die Tendenz, in einer modernen Gesellschaft weder explizit die Wahrheit zu sagen, noch zu lügen. Also sozusagen eine vermeintliche dritte Dimension zwischen Lüge und Wahrheit. Auf einige Inhalte möchte ich eingehen.
Wer in der Wirtschaft lügt, macht sich als Betrüger strafbar, sobald er einen konkreten Schaden verursacht. Wer die Wahrheit sagt oder sagen will, muss oft unbequeme und schwierige Sachverhalte klar beschreiben. Oder er zeigt, dass er keine Ahnung von etwas hat. In jedem Fall aber, hat er schwerwiegende Nachteile dadurch. Wahrheit tut immer weh und der Druck, der durch deren Veröffentlichung entsteht ist gewaltig. Das lässt bisweilen verstörende Eindrücke bezüglich der menschlichen Psyche bei einem zurück, keine Frage.
Aber kommen wir zur dritten Dimension: Sprachliche Leerformeln, die die Unkenntnis überspielen und ein selektiver Umgang mit der Wahrheit. Das ist das, was Frankfurt in seinem Buch als „Bullshit“ bezeichnete. Im Deutschen könnte man den Begriff am ehesten mit „Hohlsprech“, manche sagen auch zynisch „Neusprech“ (Orwell 1984) übersetzen. Das ist nichts anderes, als eine Lüge oder Falschdarstellung in täuschender Absicht, ohne das der Verbreiter dieses „Bullshits“ explizit die Unwahrheit sagen muss.
„Bullshit“ spielt eine große Rolle in der Werbung und in den Nachrichten von heute und trägt maßgeblich zum Anstieg von Angst bei, um dann bestimmte Reaktionen in der Bevölkerung auszulösen oder um seine Produkte verkaufen zu können. Die Versicherungsbranche lässt grüßen.
Definitiv führt die Verbreitung von „Bullshit“ zu Verkauf von überflüssigen Produkten und Dienstleistungen, ohne einen expliziten Nutzen zu bringen.
Es gibt auch die positive BS Variante. Als Beispiel soll nur mal das „Greenwashing“ dienen. Unternehmen beauftragen Agenturen Kampagnen zu entwerfen, die das eigene Unternehmen als besondern nachhaltig und umweltfreundlich darstellen.
Meine Branche, die Finanzbranche ist und bleibt aber ein wahrer Hotspot von „Bullshit“.
Schöngefärbte Begriffe und Anglizismen wie Robo-Advisor, Risk Parity, Smart Beta.
Oder der „Senior Berater“, der suggeriert, es wäre ein besonders erfahrener und kompetenter Berater in einer Bank, dabei darf ich offen aus früheren Zeiten sagen, dass dies einfach die Berater waren, die am skrupellosesten den höchsten Ertrag aus dem Kunden gepresst haben und die höchsten Ziele hatten. Sogenannte „Leuchttürme“ im Vertrieb.
Versicherungen, wie Kreditrestschuldversicherungen mit 1000 Ausschlüssen und maßlos überteuerten Kosten. Das ist was so, wie wenn man einem Frankfurter eine Erdbebenversicherung verkauft die nur dann greift, wenn der Einsturz des Hauses nicht durch einen Erdstoss ausgelöst wurde und die nur zwischen dem 31.12. und dem 01.01. zahlt.
Die intransparente Kostendarstellung bei den Kosten von Finanzprodukten, die dazu führt, dass der Kunde im Laufe der Jahre ein Vermögen bezahlt und kaum Wertsteigerung bei ihm „hängen“ bleibt.
Anrufe um das Depot zu „optimieren“, dass Jahresgespräch, natürlich voller Selbstlosigkeit von der Bank initiiert, Coachingmaßnahmen für den Bankberater, die das Kundenerlebnis verbessern sollen und zig. Phantasietitel auf Visitenkarten, hinter denen sich keine akademische Bildung, sondern nur Auswendiglernen und Multiple Choice versteckt.
„Bullshit“ zerstört langfristig das Vertrauen. Irgendwann merken Menschen, dass sie mit leeren Formulierungen und Begriffen wie „proaktiv & Co“ nur verschaukelt werden, dass nichts mehr das ist, was es zu sein scheint.
Aktuelle Studien zeigen den massiven Vertrauensverlust in der Politik und wen wundert es, in der Finanzbranche. Die Finanzbranche liegt weit abgeschlagen auf dem letzten Platz aller großen Branchen nach einer Studie der Edelman Group. In Deutschland haben nur noch 35% der Befragten Vertrauen in sie.
Es ist leider keine Trendumkehr erkennbar. „Bullshit“ relativiert die Wahrheit. Aber anstatt das es hier Gegenmaßnahmen gibt, wird nur immer mehr Energie und Geld investiert, um ihn noch ausgefeilter zu machen.
Selbst die Juristerei bleibt davon nicht verschont. Es geht weniger darum eine sinnvolle Rechtsprechung, beispielsweise im Wirtschaftsleben, zu finden, die für mehr Effizienz und Einigkeit sorgt, sondern es ist nichts anderes wie regulierungskonformes Lügen. Sobald die Lüge entlarvt wird, kommt es zu Umgehungsreaktionen, neuen „Bullshit“, worauf wieder eine neue Regulierungswelle startet.
Dies lässt sich auch deutlich daran sehen, dass Probleme nur scheinbar gelöst werden, um dann zu merken, dass immer neue Missstände auftreten. Jeder Politiker beeilt sich dann vor die Kameras zu treten und Sätze wie „da muss man was tun“, „da müssen wir proaktiv handeln“ usw. zu äußern. Bla bla blub.
In der letzten großen Gegenmaßnahme, die die Finanzbranche betrifft, MIFID 2, arbeitet man mit sogenannten „Zahlen-Bullshit“, der natürlich für maximale Transparenz sorgen soll.
In dem Informationsdokument, welches der Kunde erhalten soll, ist eine neue Kennzahl enthalten. Die VEV (Value-at-risk Aquivalent Volatility). Sie basiert rein auf der Volatilität bzw. auf VaR, einer Risikokennzahl, die alleine genommen schon oft ihre Untauglichkeit bewiesen hat. Außerdem basiert die neue Zahlenschöpfung nur auf den letzten 5 Jahren.
Wenn ein Fonds eine sehr risikofreudige Strategie fährt und damit in den letzten Jahren gut gefahren ist, dann sieht er nun natürlich besonders risikoarm aus.
Es ist wirklich so, wie es der britische Ökonom John Kay es beschrieb: „Triumph der Pseudowissenschaft über den gesunden Menschenverstand.“
Interessant und sehr nach beachtenswert ist aus meiner Sicht auch, dass derzeit ausgerechnet die USA mit der Trump Administration und Goldman Sachs im Schlepptau Maßnahmen eingeleitet haben, die wirtschaftlich Sinn machen, wie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, eine der größten Steuerreformen ihrer neueren Geschichte, die die Bildung von Produktivkapital fördert und sinnvolle Deregulierung in maßlos überregulierten Bereichen.
In Europa dagegen gehen die Lichter aus. Eine Regulierung nach der anderen, die das Wirtschaftsleben immer mehr erstickt und in einem Schuldensumpf ertrinken lässt und Maßnahmen wie MIFID 2, die sogar erst noch am Anfang stehen und jetzt schon unsägliches Chaos verursachen. Der Verbraucher hingegen schüttelt nur noch den Kopf und verlässt noch verwirrter die Kapitalmarkt, den er aber eigentlich so dringend für Vermögensaufbau und Altersvorsorge braucht.
“The pendulum of the mind alternates between sense and nonsense, not between right and wrong.”
–Carl Jung
Ja das gibt es auch im Privatem. Je nachdem wie hoch der soziale Druck ist, kriechen alle nur und fügen sich. Niemand will Nachteile, niemand will Ärger. Ob man dadurch wirklich weiter kommt wage ich zu bezweifeln. Bestenfalls sagt man in Zukunft nichts mehr und hält sich zurück. Sowas gab es ja schon mal in Deutschland. Glück und Freiheit nur noch im eigenen Garten.
Das sind alles Folgen von Überregulierung, die sich sogar auf das private Denken von Menschen auswirkt. Übervorsichtig, Überempfindlich, alles kann missverstanden werden. Da ist es bequemer nur noch leere Worte zu benutzen und sinnlose Formulierungen, die sich aber gut anhören. In der Welt von morgen spricht man besser nicht mehr miteinander ohne Anwälte, die vorher alles prüfen.