Überall werden wir heute mit Werbung bombardiert. Nicht nur im TV, sondern in unserem Internet Browser, auf Instagram, Facebook, Whatsapp. Wir werden analysiert, ausgewertet, jeder Schritt und Tritt von uns. Vielleicht wissen manche Unternehmen mehr über uns, wie wir selbst. Diese Werbung weckt Wünsche in uns deren Produkte zu kaufen. Und wir verlieren zunehmend die Fähigkeit zwischen echten Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden. Durch Social Media verlieren wir vielleicht sogar die Fähigkeit, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden und zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Früher nannte man das dann schizophren.

Früher. Früher brauchte es Diktaturen, Druck und Androhung von Straflagern um Menschen zu etwas zu bringen, sie zu motivieren etwas zu tun.

Heute ist es die ausgefeilte Kunst der Verführung. Es ist fast unmöglich sich dieser zu entziehen. Es bestimmt unser Leben. Wir bekommen eine Kulisse vorgelebt, aber nicht nur von Werbung, sondern auch von anderen, die vor uns Opfer der Werbung wurden.

Du bist nicht glücklich. Bist du wirklich nicht glücklich?

Es reicht nicht mehr ein schönes Erlebnis zu haben, vielleicht deine Traumfrau morgen zu treffen, das Mädchen aus der anderen Stadt mit den schönen Augen. Nein, nur wenn du den perfekten Auftritt hinlegst in den richtigen Markenklamotten, dann wird dir das gelingen. Du brauchst das Boss Shirt dazu und wenn das Auto nur ne gebrauchte Gurke ist, dann wird das nichts. Hoffentlich passt das Restaurant auch und das Essen sieht so aus, wie auf den Instagram Bildern.

Und wenn du einen netten Mann an deiner Seite hast, dass ist nicht genug. Du bist nicht glücklich. Du musst den Surferboy haben. Dafür gibt es ja Tinder. Aber Stop: Du bist zu fett und wirst nicht in die Dessous von Passionata passen. Also schau dir noch die Insta Videos von Sexy Luna mit ihrem Photoshop bearbeiteten Knackpopo an. Mit einem Prime Abo Ihrer Webseite bekommst du noch mehr Tipps und Videovollzugriff zu exklusiven Inhalt. Dort erklärt Luna dir dann, wie sie davon weg kam sich den Finger in den Hals zu stecken und statt dessen Eiweisshakes zu trinken, die sie ganz zufälligerweise nun verkauft.

Es reicht nicht mehr nur glücklich zu sein. Deswegen bekommst du eingeredet, dass du nicht glücklich bist. An Glück kann man kein Geld verdienen und glückliche Menschen sind keine guten Konsumenten. Und schon gar keine willigen Sklaven.

Das Instrument, um das Ziel zu erreichen ist heute nicht die Fessel, es sind die Social Media Apps auf unseren Handys. Vernetzt zu sein mit Fake Identitäten, deren Leben eine einzige Werbeplattform ist und deren Anhängseln, die glauben sie kommen auch mal so weit nach oben. Wo immer oben ist. Was immer der Preis dafür ist. Meist ein eigenes kaputtes Leben, das völlig an der Wirklichkeit vorbei geht.

Davon frei zu kommen geht nur wie damals. Man muss die Fessel los werden. In heutigem Fall die App. Nüchtern betrachtet ist das nicht einfach. Man könnte ja die vielen Katzenvideos verpassen oder wie Tom der Tiffy publikumswirksam seinen Antrag macht. Und auch der Status einer der 999 besten Freundinnen, dass bei ihr daheim das Klopapier leer ist, könnte zum Problem werden. Es könnte Depressionen auslösen. Du könntest dich alleine fühlen. Aber vielleicht bist du das ja schon, nur merkst du es nicht.

Fakt ist, das niemand von diesen Kontakten wirklich wichtig ist und keiner von denen je dein Freund war, wenn er dich nach Löschen der App nicht auch anders kontaktiert.

Am Anfang wird es aber hart für dich werden. Wie ich ja schrieb, ist es nüchtern betrachtet nicht einfach. Denn nüchtern bist du nicht.

Es wird ein Entzug, wie von Drogen oder Alkohol. Die ersten Tage werden die härtesten werden. Der Reflex auf das Handy zu starren ist noch da. Aber nein, kein Trashvideo hat dich erreicht und den Status von der Silicon BFF kannst du auch nicht sehen. Auch nicht ob Fussballspieler Tristan Bongtent Erdogan die Mannschaft für eine Summe wechselt, die du niemals auf deinem Konto haben wirst.

Aber so wie es mit einem Entzug ist, wirst du ab einem gewissen Grad, nach einigen Wochen, einen Punkt finden, an dem der Benefit größer als der Schmerz ist. Und ab da wirst du anfangen dich frei zu fühlen. Der Detox beginnt Wirkung zu zeigen.

Erst ist es die Fakewelt deiner sozialen Umgebung, die vielleicht aus 1000 Fake Freunden bestand und nun auf die wenigen echten Freunde sich reduziert. Oder auf keinen.

Und dann fängst du an zu lernen, dass es einen Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen gibt. Es gab ihn schon immer, aber du siehst ihn nun wieder.

Und nach einigen Monaten fängst du an zu sehen, dass du eine Wahl hast. Die Wahl zum Verzicht, die Wahl etwas nicht zu tun, nein zu sagen. Etwas nicht zu kaufen.

 

Verzicht ist Macht

Verzichten schafft Freiräume für andere Dinge in unserem Leben. Und Verzicht schafft auch mehr Spielraum beim Geld. Wenn wir nicht unter Konsumzwang stehen, weil Glück keinen Konsum braucht, dann bleibt auf einmal mehr Geld übrig.

Es ist auch ein unglaublich gutes Gefühl, die Macht über sich selbst wieder zu erlangen. Das richtige Wort dafür lautet Selbstbeherrschung und setzt sich aus Selbst- und Beherrschung zusammen. Es ist die Kontrolle über sich selbst.

So wie Christoph von Staatenlos immer sagt, “besitze nichts, kontrolliere alles.”

Besitz belastet und Konsum erst recht. Es löst Stress aus und Folgekosten. Upgrades, Wartung, Nachfolgemodelle. Man muss ständig am Ball bleiben. Und dann die Konsumfeste. Weihnachten, Geburtstage. Hilfe! Der Druck ist unbeschreiblich.

Verzicht ist Macht, weil wir wieder beginnen eine Wahl zu haben. Und wie einst Nietzsche sagte: Wenn es keine  Schatten gäbe, wer wüsste dann noch was
Licht ist?

Wenn wir nur den Konsum kennen, kennen wir keine anderen Entscheidungen als kaufen, kaufen, kaufen. Wir wissen gar nicht das es auch anders geht.

 

Eine Träumerei…

Stell dir mal vor, du gehst durch eine Stadt. Du hast nur eine Jeans an und ein Shirt. Ein echter Looser. Nichts erreicht im Leben, wenn man so aussieht.

Es ist angenehm warm. Du setzt dich in ein Kaffee und beobachtest die Leute. Alle gehen zur Arbeit, völlig gestresst. Und in ihrer Freizeit müssen sie einkaufen. Bald steht wieder ein Geburtstag bevor. Oder eben das besagte Weihnachten. Und hey, auf Insta, hast du das neuste Video gesehen von Lilo Lifestyle Rich? Omg ist das geil. Oh nein, meine BFF 99.000 Freundinen Gruppe hat geschrieben, Tupperparty morgen. Ich bin blank. Ah zum Glück habe ich noch meine Superrahmenkreditkarte von der freundlichen und selbstlosen Beraterbank mit nur 19% Sollzins. Also easy.

Verrückt oder? Du trinkst deinen Kaffee und denkst nach. Du hast diese Probleme nicht mehr. Du hast mehr Zeit. Das überschüssige Geld hast du in Dividenden ETFs investiert. In diesem ETF sind die Firmen, die an obigem Wahnsinn Milliarden verdienen. Die Dividenden fließen dir zu. Weisst du was das eigentlich bedeutet?

Diese Menschen sind Sklaven. Sie erwirtschaften nicht nur die Milliardengewinne der Firmen, sondern auch deine Dividende.

Aber du bist ja nur der Looser im Shirt, der einen Kaffee trinkt.

Frage: Habt ihr mal Marc Zuckerberg gesehen? Oder Bill Gates? Ab und zu haben sie einen Anzug an. Wenn sie müssen. Und sonst?
Googelt es.

 

Es war schon immer so – fast.

Die Mehrheit diente schon immer den Wenigen. Gestern, vorgestern, heute und auch morgen. Früher im Feudalsystem als Untertanen des Königs und der Fürsten. Diese Macht wurde durch Gewalt gesichert und aufrecht erhalten.

Aber heute geben Millionen Menschen sich das freiwillig. Sie ziehen freiwillig die Werbefesseln von Insta und Whatsapp an, lassen ihre GPS Daten, ihre Fotos, Videos,
Kontakte, Notizen und jegliche Kommunikation auswerten und setzten sich dieser ganzen Gehirnwäsche freiwillig aus. Niemand zwingt sie dazu. Das nennt sich dann Freiheit.

Aber ist Freiheit nicht mehr wie die Abwesenheit von Diktatur?

Millionen könnten auch glücklich sein. Aber glücklich sein reicht nicht und das haben sie gelernt. Von der Werbung, den Insta Stars und ähnlichen. Mit glücklichen Menschen kann man kein Geld verdienen.

 

Du hast eine Wahl

Wie schon beschrieben, ist es durchaus möglich das alles zu durchbrechen und zu überwinden. Du kannst den digitalen Detox machen, aufhören sinnlos zu konsumieren und das freiwerdende Geld investieren. Du kannst die Seiten wechseln, was viele Jahrhunderte lang niemand konnte. Der Weg ist heute nicht durch Mauern aus Stein versperrt, sondern aus Mauern in unserem Kopf. Gebaut durch Social Media. Und eine Menge Antidepressiva würde wohl auch nicht mehr benötig werden, wenn Menschen nicht diese permanente Photoshop Welt vorgespielt wird.

“Freundin kaputte Beziehung” macht ein Bild von sich und ihrem fremdgehenden Freund rein. Beide im letzten Urlaub. Wie lange dauert es, bis alle anderen Betrachter dieses Status Bilder von sich und ihren Beziehungen posten?

Ganz zu schweigen von der Traurigkeit, die die arme Singlemum überkommt, die diese Bilder sieht und denkt sie hätte etwas an Glück verpasst, dabei war es nur ein Tripper den sie sich ersparte.

Oder “Michael stink normal”, der auf einmal mit seiner Frau nicht mehr glücklich ist, da die Qualität von vernetztem Silikon und wochenlangen Bikiniposts ihm das Bild
vermittelt habe, dass Frauen anders aussehen?

Oder “Familie Meier”, die meint eine Familie kann nur im Eigenheim glücklich werden und sich für den Rest ihres Lebens so überschuldet, die sie ihres Lebens nicht mehr froh werden.

Du musst so nicht leben. Du kannst die Kontrolle zurück erlangen und mit deinem Shirt einen Kaffee trinken. Alle werden denken du bist ein Looser. Aber du hast die Dividenden ETFs im Depot. Du hast das Guthaben wo andere die Schulden haben.

Also scheiss drauf.

10 Kommentare zu „Über die Macht des Verzichts

  1. Puh der ist wirklich gut geschrieben, hab mir den gleich zwei mal durchgelesen. Da steckt mehr Wahrheit drinn wie die Gesellschaft verträgt und akzeptieren kann.

  2. Gut geschrieben, spricht mir aus dem Herzen. Immer mehr Menschen sind nur noch mit der Selbstdarstellung auf Instagram beschäftigt. So wie du beschrieben hast, ihnen wird eine Kulisse vorgespielt und sie spielen anderen eine vor. Echt ist fast nichts oder es gibt fliessende Übergänge zwischen Unecht und Echt. Schlimm

  3. Wow, den musste ich zwei mal lesen. Stimmt nachdenklich ubd ich stimme fast allem zu. Das mit dem nur T-Shirt können Mädels aber nicht. 😂 Aber Spass beiseite, der Post spricht viele Punkte unserer Gesellschaft heute gut an. Der totale Wahnsinn. Die Gesellschaft!

    1. Der ist gut🤣 Wobei das ein Versuch wert wäre sich mit Shirt ins Kaffee zu setzen. lol

      1. Nicht böse gemeint: Mädels das ist ein Finance Blog, holt eure Gedanken mal aus dem Abflussrohr. Konstruktiv gesagt ist es doch egal mit was ihr da sitzt, es ging darum das es günstig ist und die Einschätzung von anderen wenig bis gar nicht interessieren sollte. Wir Frauen haben da vielleicht noch mehr ein Social- und Herdentrieb Problem. Also nichts für ungut.

Kommentare sind geschlossen.