“Satan, zu einem vagabundierenden, rastlosen, unsteten Dasein verurteilt, kennt keine feste Bleibe; denn obgleich er, infolge seiner engelhaften Natur, über ein Reich zerfließender Wüstenei und Luft herrscht, so ist es doch gewisslich Teil seiner Strafe, dass er…
ohne jeden angestammten Ort oder Raum ist, der es ihm gestatten würde, seinen Fuß darauf ruhen zu lassen.”

– Daniel Defoe, The History of the Devil

 

 

 

 

Die letzten Wochen haben schon heute das Leben von vielen Menschen für immer verändert. Es ist noch nicht einmal absehbar wohin diese Reise führen wird, auch wenn sich – wie immer – einige da schon ganz sicher sind. Wir werden es sehen und auf uns zukommen lassen. Sicher ist nur, dass diese Zeit extrem unruhig ist, nervenaufreibend und manchmal gefährlich nervös, wie wenn ein Junkie eine geladene Pistole in der Hand halten würde.

Heute möchte ich einige Gedanken reflektieren und diesen Zustand beschreiben. Und zwar den Zustand, in dem wir uns jetzt befinden. Nicht morgen oder übermorgen. Denn in dieser Beschäftigung mit der Zukunft liegt auch eine Gefahr: Man schaut nach vorne und übersieht das heute. Wie wenn man mit einem Fernglas den Horizont absucht und nicht merkt wer neben, hinter oder vor einem steht. Die Beschäftigung mit der Zukunft ist natürlich nicht unwichtig. Wir wollen wissen was morgen ist, vorsorgen, absichern und planen. Aber es liegt auch die beschriebene Gefahr darin. Eine ausschliessliche Beschäftigung mit der Zukunft führt dazu, nie das Heute zu erleben. Und morgen wird heute schon gestern sein, daher setzt sich das Tag um Tag fort.

Diese Zeit ist vielleicht die ehrlichste Zeit, weil wir einfach unsere Gedanken schweifen lassen können und nicht irgend etwas “müssen”. Wir können einfach nur “sein”. Aber können wir noch einfach “sein”? Vielleicht erfordert es etwas Übung, wenn der Alltag sonst sehr stressig und vollgeladen war und das jetzt weg gefallen ist.

Der Artikel wird kein theologischer Aufsatz, aber es gibt zwei Texte aus der Bibel, die ich doch ins Feld führen möchte. Denn wie meine langjährigen Leser wissen, ist dieses Buch unbestreitbar tiefsinnig, was auch unter anderem die Faszination daran auslöst.

 

25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht und ernten nicht, sie sammeln auch nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? 27 Wer aber von euch kann durch sein Sorgen zu seiner Lebenslänge eine einzige Elle hinzusetzen? 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen! Sie mühen sich nicht und spinnen nicht; 29 ich sage euch aber, dass auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30 Wenn nun Gott das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wird er das nicht viel mehr euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen?, oder: Was werden wir trinken?, oder: Womit werden wir uns kleiden? 32 Denn nach allen diesen Dingen trachten die Heiden, aber euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles benötigt. 33 Trachtet vielmehr zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch dies alles hinzugefügt werden! 34 Darum sollt ihr euch nicht sorgen um den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Jedem Tag genügt seine eigene Plage.

Jesus Christus zu seinen Jüngern, Matthäus 6:25-34, Schlachter 2000 Bibel

 

 

31 und wer sich die Welt zunutze macht, soll sich nicht von ihr beschlagnahmen lassen. Denn die Welt in ihrer jetzigen Gestalt wird vergehen.

Paulus von Tarsus, 1. Korinther 7:31, Neue evangelistische Übersetzung

 

 

Mit den beiden Texten im Hinterkopf lasst uns erst einmal die jetzige veränderte Lage der Welt durchdenken. Beginnen wir mit einem Spaziergang vor unserer Haustür und setzen uns dann in ein Flugzeug. Danach werden wir auf einem Esel reiten und nach Gründen fragen.

 

Paratroopers
Was, wenn der Schirm nicht aufgegangen wäre?

Quelle: gettyimages/istockpictures

 

 

Ein Spaziergang und ein Fallschirmsprung

Derzeit bekommt man es besonders leicht gemacht in Ruhe spazieren zu gehen. Es ist auf zwei Personen oder den eigenen Haushalt limitiert. Und bis auf einige Unbelehrbare, halten sich auch alle daran. Man kann durch den Wald laufen oder im eigenen Ort spazieren gehen und ist alleine. Es ist auch sehr viel ruhiger als sonst. Wenige bis keine Autos fahren. Weniger Menschen sind zu hören. An manchen Stellen kommt es einem vor, wie die Welt nach einer Zombieapokalypse. Das Leben danach hat nunmal den Vorteil unbestreitbarer Stille. Das kann auch seinen ganz eigenen Charme haben. Es ist eine gute Zeit um klare Gedanken zu fassen und mit sehr viel weniger Ablenkung. Voraussetzung ist, dass man nicht den Fernseher einschaltet oder im Internet zu viel Zeit mit Nachrichtenseiten verbringt, die einen wirklich an den zitierten Text von Jesus im Matthäus Evangelium erinnern, aber keinen wirklichen Mehrwert liefern. Wir haben es derzeit also mehr denn je selbst in der Hand, ob wir uns aufreiben lassen wollen und in hysterische Panik verfallen oder ob wir wirklich die Stille akzeptieren.

Ich sage auch bewusst, niemand weiss ob “alles gut” wird, wie es wird, wie die Welt nach diesem Supergau weiter geht. Aber ich habe den Titel “Im freien Fall” gewählt, weil ich mir ein Gedankenbild vorgestellt habe, welches ich mit euch teilen will. Stellt euch einmal vor, ihr steigt in ein Flugzeug. Ihr nehmt an einem Fallschirmsprung teil. Euer ganzes Leben habt ihr schon davon geträumt einen Fallschirmsprung zu machen und nach einigen Wochen Vorbereitung, ist dann der große Tag gekommen. Ihr habt ein flaues Gefühl im Bauch, als die Motoren der Maschine starten und das Flugzeug in Richtung Startbahn sich bewegt. Es ist ein kleiner Flugplatz. Noch könnt ihr abbrechen und “nein” sagen. Aber ihr wollt es tun. Das Flugzeug biegt auf die Startbahn ein und gibt Gas, jetzt gibt es kein zurück mehr. Ihr spürt, wie das Flugzeug abhebt und ihr den Boden verlasst. Immer höher und höher. Nach einigen Minuten ist die Absprunghöhe erreicht und das Absprunggebiet einige Zeit später auch. Das Signal zum Absprung kommt. Auch jetzt gibt es nochmal die Option “nein” zu sagen. Ihr würdet dann einfach wieder zurück fliegen und sicher landen, aber ohne die einzigartige Erfahrung eines Fallschirmsprungs.

Also wie entscheiden? Die meisten würden nach all der Vorbereitung und dem dafür bezahlten Geld den Sprung wählen. Und so auch ihr. Ihr springt. Eine Grenzerfahrung. Minutenlang fliegt ihr frei und geniesst es, dieses Gefühl maximaler Freiheit. Es scheint auch sehr unbeschwert zu sein. So lange, bis der Zeitpunkt kommt, in dem die Leine gezogen werden muss, aber der Fallschirm sich nicht öffnet. Auch der Notfallschirm öffnet sich nicht. Der Supergau. Was jetzt? Ich mache mir keine Illusionen, die Geschichte ist fiktiv und es wäre wohl den meisten unmöglich nun gefasst zu bleiben, angesichts dessen was kommt. Der sichere Tod ist gewiss. Aber nehmen wir einmal an, wir können klare Gedanken fassen? Rumschreien und Panik bringt nichts. Wer soll uns jetzt noch helfen? Wir sind im freien Fall. Aber was wären unsere Gedanken? Haben wir genug Zeit mit den Menschen verbracht, die wir lieben? Oder hätte es mehr sein können? Gibt es vielleicht doch einen Gott? Hätte ich danach suchen sollen? Warum habe ich mein Leben so sehr von sozialen Zwängen bestimmen lassen? Oder: Hätte ich vielleicht mehr die Natur geniessen sollen, statt zu arbeiten für all den Konsum und Luxus? Warum war ich eigentlich immer so unzufrieden? Hätte ich nicht glücklicher und erfüllter leben können?

Es gibt viele Fragen, die man sich stellen kann. Es sind genau die Fragen, die sich Menschen auf dem Sterbebett stellen, die gleichen Gedanken die sie haben. Das ist ganz gut dokumentiert. Ich selbst hatte vor einigen Monaten mal geschrieben, dass ich in der Zeit meines Zivildienstes Menschen beim Sterben erlebt habe. Es ist wie beschrieben, am Schluss wünscht sich jeder sein Leben anders gelebt zu haben, jeder will irgendwie doch eine Art Absolution für sein Leben und jeder hat das Gefühl, dass er jetzt vor seinen Schöpfer tritt. Das hat mir damals schon sehr zu denken gegeben und als ich später die Erfahrungen von anderen darüber las, noch viel mehr.

Unser Leben ist wie dieser Fallschirmsprung. Das Flugzeug rollt Richtung Startbahn, wir können es aber nicht aufhalten. Wir werden in einem für die Gebärende schmerzhaften Prozess und unter Tränen geboren. Später sind es Freudentränen, wir sind gesund auf die Welt gekommen, der ganze Stolz unserer Eltern. Das kleine süsse Baby, dass sind wir. Alle wollen uns im Arm haben und etwas von dem geben, was wir so brauchen: Liebe. Der Wunsch nach Liebe und die Suche danach wird uns unser ganzes Leben begleiten. Das Flugzeug bekommt Schub, es hebt vom Boden ab, aus der Sicherheit des Erdbodens und fliegt immer höher. Das ist die Phase, in der wir uns immer mehr lösen und heranwachsen und stärker werden. Aber noch sitzen wir in dem Flugzeug, angeschnallt mit einem Sicherheitsgurt. Unsere Eltern sind immer noch da, noch haften wir nicht voll für unsere Fehler. Es steht immer noch jemand hinter uns. Das schafft Vertrauen und macht uns mutiger. Wenn wir fallen, hilft uns jemand auf und sagt “hey, das kann doch mal passieren. Steh auf, weiter geht es.” Dann aber erreicht dieses Flugzeug die Sprunghöhe und das Zielgebiet. Wir schnallen uns ab, die Tür öffnet sich. Unter uns tausende Meter freier Fall. Wir sind mutig und sagen ja. Wir springen. Es ist ein Gefühl größter Freiheit, die Erde verlassen zu haben und jetzt fühlt es sich auch gut an, das Flugzeug hinter sich gelassen zu haben. Das ist die Phase zwischen 20 und 30 Jahren. Die ganze Welt liegt gefühlt unter uns, zum greifen nah, sie gehört uns. Jetzt können wir alles erreichen. Was ein Gefühl. Das Leben, es ist unbeschreiblich schön, aber wir verlieren manchmal die Dankbarkeit dafür, weil wir uns so frei, unabhängig und stark vorkommen. Aber es kommt der Moment in unserem Leben, da merken wir der Fallschirm öffnet sich nicht. Der Moment, in dem wir realisieren, wir sind im freien Fall und das Ende ist gewiss. Es gibt keine Option, keinen Plan B, keinen Notfallschirm. Es kann uns niemand einen Ausweg bieten.

Bei jedem von uns ist das ein anderer Zeitpunkt im Leben. Manche wissen das schon sehr früh, mit Ende 20 oder Anfang 30. Andere beerdigen erst ihre Eltern oder geliebte andere Menschen. Wieder andere merken es, wenn sie in die Rente kommen und fallen in ein Loch, das sie fortan schnell zu füllen suchen. Die entscheidenden Fragen sind, (1) wann verstehe und realisiere ich diesen Fakt und (2) was mache ich mit dieser Information? Ablenken bis “der Doktor kommt?” Bei manchen Menschen ist das buchstäblich so. Möglichkeiten gibt es viele.

 

 

Blackwater.live -  das innere ICH
“Childhood is measured out by sounds and smells and sights,
before the dark hour of reason grows.”
John Betjeman

Quelle: gettyimages/istockpictures

 

 

Die Geschichte von dem Esel…

Aber ein Artikel wie dieser sollte und soll kein Verurteilen sein, denn das Beschäftigen mit anderen Menschen um zu reden und zu urteilen ist genau so eine Zeitverschwendung, wie einen schlechten Kinofilm zu sehen oder Gala zu lesen. Natürlich ist es nicht immer leicht, sich das wieder bewusst zu machen, da wir soziale Wesen sind und miteinander interagieren. Es ist also unmöglich nicht zu werten, man muss dagegen kämpfen und so geht es mir auch. Und das obwohl man auch selbst immer wieder unter den Urteilen anderer leidet, denn so ganz egal ist einem das ja nie.

Es gibt eine Geschichte aus der Zeit der Abbasiden Dynastie. Man erzählte sich, ein Vater und sein Sohn ritten auf einem Esel. Als sie die Stadt Kandahar (im heutigen Afghanistan) erreichten, regten die Leute sich auf. Sie sagten, “seht, der arme Esel! Er muss zwei gesunde Männer tragen!” Also stieg der Sohn ab und der Vater blieb auf dem Esel.

Als sie aber die nächste Stadt erreichten, schrien die Leute: “Schaut euch den Mann an, er lässt seinen jungen hilflosen Sohn durch die Hitze der Wüste laufen und selbst geniesst er dem Ritt auf dem armen Esel.” So kam es, dass in der nächsten Stadt der Sohn auf dem Esel ritt und der Vater zu Fuss lief. Aber die Leute regten sich wieder auf und rufen zu dem Jungen: “Du bist jung! Du bist gesund! Du lässt Deinen alten Vater leiden. Er schmilzt im der Hitze der Wüste.” Also entschied Vater und Sohn, dass sie beide mit dem Esel zusammen laufen.

Als sie die nächste Stadt passierten, lachten die Menschen. “Schaut euch die zwei Dummköpfe an, warum reiten sie nicht auf ihrem Esel?” Und sie kritisierten sie weiter.

Am Ende sagte der Vater, “es reicht!” Und er und sein Sohn trugen den Esel auf ihrem Rücken.

Wir fesseln uns durch das Gerede und die Erwartungen anderer Menschen, sind beschäftigt im Richten und legen uns gegenseitig schwere und nicht tragbare Lasten auf. Vielleicht ist diese Zeit des einfach “seins” und ohne direkten physischen Kontakt zu anderen die Zeit, diese Lasten abzuwerfen und sich auch keine neuen mehr aufladen zu lassen. Aber auch anderen keine aufzuladen.

 

 

… und die Suche nach Gründen…

Der britische Dichter und Journalist Sir John Betjeman schrieb einst: “Childhood is measured out by sounds and smells and sights, before the dark hour of reason grows.”

Das bedeutet auf Deutsch in etwa: Die Kindheit wird an Geräuschen, Gerüchen und Sehenswürdigkeiten gemessen, bis die dunkle Stunde der Vernunft wächst. Die dunkle Stunde der Vernunft? Reason ohne den Zusammenhang übersetzt heisst “Grund”. Und so ist es auch, die Vernunft braucht immer Gründe. Natürlich ist Vernunft und die Nutzung dieser nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Aber sie schneidet ausschliesslich genutzt auch etwas aus unserem Leben weg. Wenn man immer nach Gründen und vernünftigen Erklärungen sucht, kann aus einer sehr farbigen Wirklichkeit schnell eine graue Welt werden. Ich habe vor einiger Zeit folgende Situation beobachtet: Ein Vater spielt mit seiner Tochter in einem Park. Die Tochter entdeckte plötzlich Blumen am Rand einer Wiese. Sie lief dorthin, ging in die Knie und schloss die Augen. Dann roch sie an der Blume. Sie fragte ihren Vater, wer die Blumen gemacht hat. Der Vater sagte, das war der liebe Gott. Die Tochter lächelte und sagte, “der hat uns aber sehr lieb, wenn er so etwas schönes macht.” Das war eine einfache Erklärungen und da ich den Vater kenne, weiss ich, dass er nicht an Gott glaubt. Aber die Tochter sicher – erst einmal.

Wie viele Erwachsene in Parks heute riechen noch mit geschlossenen Augen an Blumen? Wie viele Erwachsene würde schlussfolgern, dass die Blumen jemand gemacht hat, der uns liebt? Würden die meisten nicht sagen, toll, der Zufall hat das schön gemacht? Schöne Blumen, kaufe ich mir auch für den Garten. Hat der Dehner die im Angebot? Wie vielen fallen Blumen noch auf? Es geht mir bei diesem Beispiel nicht primär an den Glauben an einen Schöpfer. Es geht nur um den Gedanken, dass Vernunft und das heutige “Erwachsenenleben” uns oft einer Tiefe und Schönheit des Lebens beraubt, die Kinder noch haben dürfen. Sie sehen noch eine Welt, die sich für uns Erwachsene mehr und mehr in Nebel hüllt. Aber das ist kein passiver Prozess. Es passiert paradoxerweise ausgerechnet durch den Versuch, sie zu erklären und zu verstehen. Wir entzaubern die Welt um uns herum mit Erklärungen und Erklärungsversuchen. Oft können wir Dinge aber nicht erklären und dann werden die Versuche es doch zu tun immer absurder. Selbst die Frage nach dem Sinn kann ins Dunkel führen. Statt sozusagen im Licht zu bleiben, dankbar zu sein und diese Fragen mit dem Herz zu beantworten, mit der Neugier eines Kindes die Welt zu entdecken und sich solchen Fragen zu stellen, versuchen wir entzaubert zu erklären. Den Sinn nicht sofort zu erkennen, bedeutet nicht Sinnlosigkeit. Vielleicht müssen wir uns nur ein bisschen mehr anstrengen und eine andere Brille aufsetzen. Als Kinder haben wir auf dem Weg zum Erwachsenen viel gelernt, aber manches haben wir auch verlernt. Nicht bei allem nach Gründen zu fragen, sondern einfach etwas sein zu lassen. Auch uns selbst.

 

 

Panoramic view of The Greek theater in Taormina, Sicily
Die Welt und ihre Abläufe gleichen einem riesigen Theater mit immer neuen Bühnen und Protagonisten.

Quelle: gettyimages/istockpictures

 

 

Erinnert ihr euch noch an die zwei Texte am Anfang dieses Artikels? Darauf möchte ich nun zurück kommen. Viele machen sich Sorgen in der jetzigen Zeit. Es geht nicht immer darum, ob diese begründet sind oder nicht. Es geht darum, ob es etwas ändert sich Sorgen zu machen. Und wir alle wissen, es ändert nichts. Wir können nicht “eine einzige Elle” unserem Leben hinzufügen. Wir verlängern es nicht, manchmal passiert durch die Sorgen genau das Gegenteil. Natürlich will sich niemand Sorgen machen müssen, es fühlt sich ja alles andere als gut an. Und man sucht nach Ablenkungen. Dann schaltet man die Nachrichten an und sieht, was alles passiert. Eigentlich passiert genau das, was der Prediger und Apostel Paulus in dem zweiten Bibeltext, in 1. Korinther 7:31 sagte: “und wer sich die Welt zunutze macht, soll sich nicht von ihr beschlagnahmen lassen. Denn die Welt in ihrer jetzigen Gestalt wird vergehen.” Manche haben das auch sehr frei übersetzt mit “die Szene der Welt wechselt.” Heute würde man derb sagen, “jede Woche wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben.”

Was war denn letzten Dezember die grosse Schlagzeile? Oder im Herbst? War es da nicht noch Klima Greta? Und davor? Neue Börsenhochs? Gleichstellung? Donald Trump? Wieder irgend ein Krieg, der dann vergessen wurde? Welche andere große Empörung war in aller Munde?

Manche Verschwörungstheoretiker haben vielleicht Recht, das wird man erst im Nachhinein erfahren, wenn aus einer Theorie Wirklichkeit wurde. Wenn man sich mit manchen Theorien auseinander setzt – und davon gibt es derzeit wieder sehr viele – dann merkt man, sie ändern sich dauernd. Das trifft allerdings auch auf die als derzeit seriös betrachteten Erklärungsansätze zu. Und wenn dann im Nachhinein so ein “blindes Huhn” mal ein Körnchen pickt, dann wird es gefeiert. Das Huhn. Das gab es in allen Krisen der Menschheitsgeschichte. Dazu möchte ich aber gerne eine kleine Geschichte einfügen: Es war einmal ein Wanderer, der durch eine kleine Stadt zog. Er stellte zu seinem Erstaunen überall Anzeichen einer verblüffenden Schießkunst fest. Bäume, Zäune und Wände waren mit Kreisen bemalt und hatten genau in der Mitte ein Einschussloch. Es gab ihm Rätsel auf. Er fragte, wo dieser Meisterschütze sei, der sich bald als ein kleiner Junge entpuppte.  “Das ist unglaublich!” sagte der Wanderer erstaunt. “Wie um alles in der Welt bringst du das fertig?” “Kinderleicht”, war die Antwort. “Ich schieße zuerst mit Pfeil und Bogen und male dann die Kreise.”

Das ist bislang immer so gewesen wie in der Geschichte. Um das Ereignis werden dann später “die Fakten” herum gebaut und es wird retuschiert, so das es passt. Sich wiedersprechende andere zeitgenössische Aussagen des gleichen Autoren werden natürlich nicht erwähnt.

Egal welchen Aussagen man heute Glauben schenken mag, von Mainstream Presse bis RT Deutsch, in beiden Fällen sucht man unweigerlich nach Zusammenhängen und einem Muster dahinter. Wie hängen diese ganzen Nachrichten zusammen? Stimmen sie? Sind es Fake News? Aber ob dies, das oder jenes stimmt oder nicht, das ist nicht das Muster dahinter. Das Muster ist, dass die Szene der Welt sich ständig ändert, wie in einem großen Theater, in dem immer neue Bühnenbilder aufgebaut werden. Paulus von Tarsus schrieb die erwähnte Worte aus 1. Korinther 7 und als griechisch gebildeter Jude und römischer Staatsbürger kannte er zweifellos diese griechischen Theater, die es in der ganzen damaligen römischen Welt gab und deren Ruinen wir heute noch vorfinden.

Die Protagonisten ändern ihre Rollen, ziehen neue Masken an, wechseln die Farben und das schaurige Spiel beginnt immer wieder von vorne. Die Zuschauer können nicht hinter diese Bühnenbilder blicken und wissen auch nicht, wer die Schauspieler wirklich sind. Aber sie werden belustigt, beschäftigt und durch unserer aktuelle Weltbühne oft nur verängstigt. Wenn die Vorstellung rum ist, haben sie einen Preis bezahlt. Ihr Leben, das vorbei ist, statt bewusst und persönlich gelebt und erlebt wurde. Die Botschaft aus den beiden zu Eingang zitierten Texten ist also ganz einfach gesagt, dass (1) jeder Tag seine Sorgen hat und man mit seinem persönlichen Zeithorizont auf Tagesbasis bleiben sollte, statt Ängste wegen morgen zu haben. Und (2) die Gestalt der heutigen Welt vergeht. Soll bedeuten: Die Szene wechselt, es ändert sich dauernd alles.

 

Was bleibt uns?

Was uns bleibt ist unseren Frieden zu bewahren, uns nicht verunsichern zu lassen und wie schon oft geschrieben, uns als Menschen nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, in diesem großen Theater Namens Welt. Geniessen wir die kleinen Momente, dass wir in diesem großen Strom der Zeit einen Platz haben durften und ein paar Fussabdrücke im Sand hinterlassen durften. Geniessen wir bewusst die Zeit mit unserer Familie und den anderen Menschen, die wir lieben. Wenn diese Krise der Welt vorbei ist, dann werden wir vermutlich viele Dinge mehr zu schätzen wissen als vorher. Vielleicht kaufen wir uns ein Flugticket und sind begeistert, dass wir von Deutschland überall hin fliegen können. Und auch wieder zurück. Vielleicht freuen wir uns noch mehr über Toilettenpapier, wenn wir es im Regal liegen sehen. All diese Dinge, die offenbar in wenigen Tagen nicht mehr selbstverständlich sein können. Oder wir gehen zu unserem Lieblingsitaliener oder Grieche mit der Liebe unseres Lebens.

Diese Zeiten in denen wir leben, können so wertvoll für uns sein. Wenn wir aus ihnen lernen. Vielleicht wissen wir unsere fragile und an dünnen Fäden aufgehängte Normalität mehr zu schätzen, wenn das Leben wieder zurückkehrt.

Bis dahin wünsche ich euch einen schönen Spaziergang draussen. Und einen guten Flug auf der Reise des Lebens.

 

 

 

 

“There is life, there is death and there is love between them. Nothing else counts.”

– Christine Lagarde

9 Kommentare zu „Im freien Fall

  1. Das sind sehr schöne Gedanken, die zum Nachdenken und auch zum Träumen einladen. In dem Moment verweilen und akzeptieren. Bleibt alle gesund in der schweren Zeit und passt auf euch auf!

  2. Einfach nur schön❤️ Ich bin wieder gesund, hatte aber kein Corona.🤪 Jetzt ist erst einmal Kurzarbeit und mehr Freizeit. Ich weiss nicht ob ich das gut finden soll. Durch die ganze Krise ist aber etwas passiert, wofür ich dir noch soooo danken wollte. Ich habe doch damals meinen Riester gekündigt, nachdem wir uns darüber geschrieben haben. Mit deinem Riester-Hate-Artikel fing das an. Weisst du noch? Ich war da fett im Plus mit vielen Tausendern. Musste paar Euro zurück zahlen wegen Förderung und so. Aber nicht schlimm. Jetzt war eine Freundin von mir da mit dem gleichen Riester. Ich sage nur: OMG. Mein ganzes Plus wäre weg, wenn ich den behalten hätte. Einfach nur ❤️DANKE❤️. Das hast du dir echt verdient. Mit dem ETF Sparplan ist es gerade richtig perfekt für mich. Ich schick dir die Freundin auch, die hat erst mal die Schnauze von Bank voll und will sich jetzt über ETF informieren. Sorry BWM, ist off-topic gewesen. Aber ich musste es dir einfach sagen! Daaaankeee und Tschüüüüüss mit vielen mit vielen üüü ‘s vielen Dank!😘

    1. Hallo Seda, es freut mich dass es Dir wieder besser geht und Du wieder gesund bist! Das mit Deinem Riestervertrag freut mich für Dich selbstverständlich auch. Den Zeitpunkt des Crashs konnte niemand voraus sagen, daher war das auch Glück. Der Riestervertrag hat nur grundsätzlich schwere Nachteile und in Deinem Fall (weisst Du und ich) war er absolut ungeeignet und der Verkauf eine Fehlberatung. Ich freue mich sehr über Deine Empfehlung und Deine netten Worte!

  3. Sehr schön. Gute Analogien mit den Geschichten.
    Obwohl mit dem Fallschirm: Was, wenn er sich doch noch rechtzeitig öffnet? Zweite Chance und nochmal ins Flugzeug bzw. ins Leben steigen? 😉

  4. Ein schöner und nachdenklicher Artikel. Es ist ein weltweiter Verdrängungsprozess zu beobachten. Ich sehe mich als Agnostiker. Aber ganz neutral sehe ich durchaus, das der Schöpfungsglaube durch den Zufallsglauben der Atheistenreligion ersetzt wurde. So wird im TV immer wieder auf die “Wunder der Natur” hingewiesen, aus dem Nichts entstanden sind. Das alles ist genauso wenig beweisbar. Grundsätzlich habe ich auch nichts gegen einen Schöpfungsglauben. Nur wenn das benutzt wird um Geld zu machen, Menschen zu manipulieren oder zu unterdrücken, dann wehre ich mich durchaus und gebe meine Kritik zum besten.

  5. Was soll man unter einem Post wie diesen kommentieren? Man muss es nicht. Einfach sacken lassen. Gut geschrieben, da musste sogar ich stellenweise schlucken. Sonst bin ich eher ein sachlicher Typ. Du bringst immer wieder Beiträge, die unter die Haut gehen.

  6. Ein sehr persönlicher Post von dir, den ich sehr berührend und auch bewegend finde. Vielen Dank für die Offenheit und das Teilen.

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