“Das Mondlicht durchflutet den ganzen Himmel von Horizont zu Horizont; Wie sehr es deinen Raum erhellt, hängt von dessen Fenstern ab”

Rumi

Wenn im Dezember vor der Sonnenwende die Nächte immer länger werden und man in einer sternen- und kristallklaren Nacht den Himmel in Ruhe betrachten kann, dann macht man die Begegnung mit Licht, welches mit einer Geschwindigkeit von 1,08 Milliarden km/h auf die Erde trifft. Viele der eintreffenden Lichtstrahlen kommen von Sternen, die gar nicht mehr existieren. Dieses Licht kommt aus den äußersten Regionen des uns heute bekannten Weltalls, die bis zu 93 Milliarden Lichtjahre entfernt sind und fällt durch unser Fenster auf unser Gesicht. Es bildet etwas ab was war, aber nicht mehr ist und fällt auf etwas was ist, aber nicht mehr sein wird. Auf uns.

Und so sieht man aus seinem Fenster auf eine ganz andere Welt, die einen vergessen lässt was um einen herum ist, wie klein unsere Welt ist, wie unbedeutend unsere Probleme sind und seien sie noch so gross. Dieser Blick durch das Fenster auf einen Lichtschein dessen Quelle so weit weg ist, lässt uns die Welt wahrhaft mit anderen Augen sehen.

So sagte schon Yunus Emre “Spricht die Zunge, so hört das Ohr. Spricht aber das Herz, so lauscht das Universum.” Wohlweisslich, dass das Universum auch nur Teil von etwas viel Größerem ist, werden unsere Gedanken erhört.

“Niemand kennt die genaue Größe des Universums, da wir den Rand nicht sehen können – wenn es denn überhaupt einen gibt. Wir wissen lediglich, dass das sichtbare Universum mindestens 93 Milliarden Lichtjahre im Durchmesser groß ist. (Ein Lichtjahr ist die Entfernung, die das Licht in einem Jahr zurücklegt – das sind etwa neun Billionen Kilometer.)

Quelle: esa

Was siehst Du wenn Du aus dem Fenster schaust? In welche Welt blickst Du?

Mit welchen Augen erblickst Du diese Welt?

Das weisst nur Du.

Sicher ist nur, dass das Fenster durch welches wir blicken und die Augen mit denen wir die Welt sehen von unserer Erziehung, unseren Erfahrungen und unseren Gewohnheiten geprägt ist. Und das macht es so unendlich schwer durch fremde Fenster zu blicken ohne zu urteilen. Zumindest erfordert es eine andere Eigenschaft die so auf dem Rückzug ist, wie das Wasser aus einer vergessenen Oase. Die Demut.

Uns so lesen wir heute Bücher, die weit über tausend Jahre alt sind und nicht unserer Kultur und Sprache entstammen und meinen darüber eine Deutungshoheit zu haben. Im Lichte unserer Wahrnehmung und Werte versteht sich. Wie absurd.

Genauso beurteilen wir andere Kulturen, die viele Jahrhunderte alt sind -manche Jahrtausende- und ihre Menschen, die ihre eigene Geschichte und ihren Weg zu leben haben und meinen wir wüssten es besser mit einem Massstab, der dem Zeitgeist von nicht einmal einem halben Jahrhundert entspringt. Wie überheblich.

Die Welt wird sich auch nach unserem Ableben weiter drehen, wenn längst alles was uns ausmacht sich in Staub aufgelöst hat und jeder unserer Gedanken längst vergangen ist. Je früher wir das erkennen, umso eher werden wir Herzensbildung erlernen. Und mit dieser Herzensbildung wird es uns möglich sein auch durch andere Fenster zu blicken, das Leben durch die Augen von anderen Menschen zu sehen. Desto eher werden wir lernen, das in unserer eigenen Begrenztheit die Prüfung dieses Lebens liegt. Und darin, wie wir damit und mit anderen umgehen. Es geht um nichts anderes, als allen Stolz zu überwinden und die Sanftmut der Seele wieder zu finden.

Zum Ende dieses Jahres möchte ich Dich in eine Stadt mitnehmen, die als die älteste bewohnte Stadt der Welt gilt. Diese Stadt wird uns helfen unser Leben in einem anderen Blickwinkel zu sehen, das auf uns fallende Licht aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen.

Unserem Körper sind Grenzen gesetzt und wir brauchen etwa vier Flugstunden von Deutschland, um diese Stadt zu erreichen. Aber der Geist ist frei und so können wir in diesen Dezembertagen 2022 durch Strassen wandeln, die unsere Füsse nie berührt, unsere Ohren nie gehört und unsere Augen nie gesehen haben. Die Strassen von Damaskus. Meine Freundin und Gastautorin Rawan hat mit aktuellen Bildern und ihren Gedanken die Essenz zu diesem Artikel geliefert. Im Jahr 2008, nur drei Jahre vor Beginn des Syrienkrieges wurde Damaskus zur Kulturhauptstadt der Arabischen Welt gewählt. Drei Jahre vor dem nie enden wollenden Martyrium eines Volkes und seinem Land. Aber auch wenn die Welt längst weiter gezogen ist und Syrien vergessen hat, so zählt erst recht jeder Gedanke an die Menschen, die zurück geblieben sind.

Die gerade Strasse

“ἀναστὰς πορεύθητι ἐπὶ τὴν ῥύμην τὴν καλουμένην Εὐθεῖαν καὶ ζήτησον ἐν οἰκίᾳ Ἰούδα Σαῦλον ὀνόματι Ταρσέα”

„Steh auf und geh zu der Straße, die man Die Gerade nennt, und frag im Haus des Judas nach einem Mann namens Saulus aus Tarsus!”

Apostelgeschichte 9:11 in altgriechischer Sprache und in der Übersetzung.

Auf der Strasse, “die man Die Gerade nennt” wohnte laut der Bibel ein Mann namens Saulus von Tarsus, der spätere Paulus und ganz neutral betrachtet der Gründer des Christentums, wie es viele Historiker heute erklären. Im Nahen Osten sind die Spuren von Erzählungen der Bibel noch heute überall zu finden, so dass es nicht viel Phantasie braucht, auf diesen Spuren von Zeit, Geschichte und Religion zu wandeln. Oft werde ich gefragt, was ich am Nahen Osten so faszinierend finde. Und es ist genau das. Was in Europa nur eine naive Vorstellung sein mag, die durch triviales “im Jetzt leben” ersetzt wurde, ist im Nahen Osten Realität und an vielen Orten scheint selbst heute die Zeit stehen geblieben zu sein was vielleicht auch daran liegt, dass die Zeit schon von jeher hier eine ganz andere Bedeutung hat. Dieser Umstand wirkt sich auf das eigene Bewusstsein aus. Da Zeit ein Teil der Schöpfung ist, hat man keine Sorge etwas zu verpassen. Zeit wird uns geschenkt und zu einem Zeitpunkt den wir nicht kennen, endet unsere Zeit hier.

(…)

Zur Römerzeit war die in Ost-West-Richtung verlaufende Straße der Decumanus maximus, der das Westtor Porta Occidentalis mit dem Osttor Porta Orientalis, auch Sonnentor Porta Solis, verband, und kreuzte sich in seiner Mitte mit dem orthogonal zu ihm verlaufenden Cardo. Der Decumanus von Damaskus wurde Via Recta (Gerade Straße) genannt, ein Name, der inoffiziell auch heute noch im Arabischen verwendet wird (الشارع المستقيم, aš-Šāriʿ al-Mustaqīm). Der anderthalb Kilometer lange Straßenzug war 26 m breit – viermal so breit wie heute – und war von Säulen und Marktständen umgeben.[5]

Bei der islamischen Eroberung von Damaskus 636 ritt Chālid ibn al-Walīd mit seinen islamischen Truppen durch die Porta Orientalis, das Osttor, arabisch Bab Scharqi, in die Stadt ein, womit die römische Herrschaft endete und die islamische begann. Die Via Recta behielt ihren Verlauf in den folgenden Jahrhunderten bis heute bei, wurde jedoch mit der Zeit immer schmaler, da die Handelsflächen und die Bebauung immer weiter zur Mitte hin ausgedehnt wurden. (…)

Quelle: Wiki

In Damaskus wurde Weltgeschichte geschrieben, von hier aus veränderte sich der Lauf der Dinge für immer und dazu trug auch Paulus von Tarsus entscheidend mit bei.

Die Stadt Damaskus selbst blickt auf über 5000 Jahre Menschheit zurück und gilt als die älteste durchgehend bewohnte Stadt der Welt. Und auch in der Bibel ist die erste Erwähnung locker nochmal 2000 Jahre vor Paulus gewesen. Damaskus wird in der Bibel erstmals im 1. Buch Mose (Gen 14,15) erwähnt. Abraham jagt seine Feinde bei der Befreiung Lots nördlich von Damaskus. Abraham, der Urvater der Gläubigen mit dem die unglaubliche Geschichte des Monotheismus wie wir ihn heute kennen begann. Aufgezeichnet für Menschen, die tausende Jahre später leben würden. Und schon damals gab es Damaskus. Wie Paulus, der diese Aufzeichnungen als jüdischer Gelehrter gekannt haben muss, Damaskus wohl erlebte? Eines ist sicher: die griechischen und römischen Bauten die Paulus in der Stadt sah sind auch heute noch als Ruinen im Stadtbild hier und dort zu sehen.

Wenn man heute auf der “geraden Strasse” läuft fällt einem als erstes auf, dass sie nicht mehr überall “gerade” ist. So wie diese Strasse hat Damaskus alleine in den letzten 2000 Jahren eine bewegte Geschichte hinter sich. Kriege wurden gewonnen und verloren, Völker kamen und gingen und mit ihnen die Kulturen, die alle Spuren in dieser Stadt hinterliessen. Damaskus hat eine Menge gesehen. Der Niedergang der alten christlichen Kirchen des Nahen Ostens, die grosse Häresie des Islam, den Johannes von Damaskus damals noch als weitere Variante des Christentums sah, als Rückbesinnung auf den Monotheismus. Die ältesten Funde der Schahada in Stein fand man außerhalb der Stadt, damals noch ohne Prophetenzusatz.

Lā ilāha illā ʾllāh(u) لا إله إلا الله: „Es gibt keinen Gott außer Gott“ 

Dass Johannes von Damaskus den Islam einfach für eine weitere Variante des Christentums hielt, lässt tief blicken und zeigt welchen inhaltlichen Stand das Christentum einmal hatte und woher es eigentlich kommt, denn heute wäre so eine Einschätzung undenkbar.

Ein Teil der Zeit, die über dieser Stadt verging, scheint in Damaskus schon immer in Form von Stein konserviert worden zu sein, hinübergerettet in eine andere Epoche und als stummer Zeuge für die Nachwelt. Nicht der Stein der Strassen, wo vorher Sand war. Aber der Stein der Gebäude. Man läuft durch eine von Geschichte geflutete Stadt, durch von fremden Düften geschwängerte Luft auf der Strasse der Vergangenheit. Jeder Atemzug ist so, als würde man die Zeit atmen können. Sie füllt einen aus und hinterlässt ihren sanften Abdruck in unserem Empfinden, ist aber zugleich flüchtig wie Fussspuren im Sand.

Damaskus hat seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 eine harte Zeit erlebt, aber im Lichte der Geschichte dieser Stadt scheint auch das nur ein weiteres Zeitfenster zu sein, welches sich irgendwann schliesst. Und doch ist es schwer vorstellbar nur wenige Stunden Strom am Tag zu haben oder gar keinen. Und angesichts westlicher Embargos sind viele Dinge die wir kennen nicht verfügbar. Und doch tragen die Menschen diese Last, bauen sogar ihr Land mit eigenen Händen wieder auf. Syrien ist einerseits seit nunmehr fast 12 Jahren im Krieg und doch ist es ein Land, das der Westen vergessen hat. Was man dabei oft übersieht ist, dass man nicht einfach ein Land vergisst, man vergisst seine Menschen. Wie als wenn diese auf einem anderen Planeten leben würden, als wenn das nicht hier auf dieser Erde geschehen würde.

Das Mädchen aus Damaskus

الفتاة من دمشق

An dieser Stelle ist es Zeit Rawan روان vorzustellen. Sie lebt nur wenige Gehminuten von der großen Umayyadenmoschee entfernt, mitten in der Altstadt von Damaskus. Die Umayyadenmoschee in Damaskus ist über 1400 Jahre alt und das Grab von Johannes dem Täufer. Das Ostminarett trägt den Namen „Jesusminarett“. Viele Muslime glauben, an diesem Ort werde am Ende der Welt Jesus erscheinen.

Wenn man über Damaskus nachdenkt, dann kann man sich angesichts der Geschichte der Stadt und ihrer Bauten kaum etwas Passenderes vorstellen als Theologie, Geschichte oder Architektur hier zu studieren. Rawan als Tochter dieser Stadt studierte islamische Theologie und Architektur und macht gerade ihren Master in Architektur.

Rawan kenne ich seit etwa zwei Jahren. Wir haben uns sozusagen über das Internet gefunden. Sie suchte jemand um Deutsch zu lernen und ich bin schon damals an islamischer Kultur und der arabischen Sprache interessiert gewesen. Aber ich habe mich auch immer gefragt wie das Leben in Damaskus wohl sei. Die Geschichte von Damaskus faszinierte mich schon vor meiner Berührung mit dem Islam, zweifellos auch wegen den Berichten aus der Bibel.

Seit ich Rawan kenne haben wir meist einige Male im Monat miteinander telefoniert, immer in Abhängigkeit von Strom und dem Internet. Das Leben in Damaskus folgt anderen Regeln und einer anderen Wirklichkeit. Da ist zum einen die Realität des Krieges. Strom gibt es nur zeitweise. Das ganze Leben ist um die Verfügbarkeit des Stromes herum aufgebaut. Nur eine Sache hat eine noch höhere Priorität und das sind die Gebetszeiten. In einer muslimischen Stadt hat das Gebet die höchste Priorität wohlweislich dessen, dass es vor allem in Kriegszeiten wie diesen mit dem Leben jederzeit vorbei sein kann. Dadurch ist in solchen Städten in solchen Zeiten der Himmel meist näher als die Erde und wer will diese Erde schon verlassen ohne vorher im Frieden mit seinem Schöpfer zu sein?

Durch die Einschränkungen durch den Krieg und das Wirtschaftsembargo vieler Staaten hat man in Damaskus nicht den Lebensstandard, den wir im Westen kennen. Überhaupt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein und ich könnte noch nicht einmal sagen wann. Je nach Strassenzug befindet man sich im Umayyadenreich, im osmanischen Reich oder auch im späten 19. Jahrhundert wieder. Spätestens aber ist man in den frühen 2000er Jahren, zumindest was das alltägliche Leben angeht. Damaskus ist wie eine Zeitmaschine, das Gehen über die Strassen dieser Stadt wie ein Wandeln zwischen den Blättern eines Geschichtsbuchs. Seite für Seite erlebt man die Abfolge von Zeit und Zeitabschnitten menschlichen Hoffens, Wirkens und Planens, das allzu oft in der Vergeblichkeit des Seins endet.

Rawans Leben in dieser Stadt ist von ihrem Elternhaus und der Universität geprägt. Die Familie lebte vorher in einem Vorort von Damaskus. Es war ein unbeschwertes Leben, das Leben in Syrien ohne Krieg. Ein Leben nach alten Traditionen. Der Ort wo Rawan mit ihrer Familie lebte ist etwa 40 Minuten von Damaskus entfernt. Den Namen soll ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Sie war damals 14 Jahre alt und die Erinnerungen an die Flucht sind sehr schmerzhaft. Das Land löste sich 2011 innerhalb von wenigen Monaten auf, staatliche Strukturen zerbrachen und immer mehr Rebellengruppen entstanden, die recht schnell Waffen aus dem Ausland erhielten. Das unbeschwerte Leben welches Rawan mit ihrer Familie führte verschwand innerhalb weniger Tage. Demonstrationen, die sie wie viele andere auch erst nur im Internet sah, waren der zündende Funke für einen Flächenbrand. Und so kam es eines Tages, dass die kleine Stadt unter Beschuss von Artillerie lag und Gefechte innerhalb der Stadt ausbrachen. Der dünne Lack der Zivilisation löste sich innerhalb von wenigen Stunden in Chaos und Gewalt auf. Über Nacht und unter Beschuss alles zurück zu lassen, das ganze alte Leben zu verlieren, das können sich sicher die wenigsten von uns vorstellen. Es gab keine Hilfe, die Familie entschied sich nach Damaskus zu fliehen, wo sie Verwandte haben. Die Strassen zur Hauptstadt waren gesperrt und sie mussten sich auf Wegen über offenes Gelände durchschlagen. Immer mit dem Risiko beschossen oder bombardiert zu werden. Das ganze Land wurde vom Chaos und Krieg erfasst. Schliesslich gelang es nach Damaskus zu kommen. Das Leben gerettet, aber alles verloren was vorher war. Irgendwann lässt dann auch die Erinnerung nach. Nur wenige Menschen in Europa werden sich vorstellen können wie es ist, mit nichts außer der Kleidung die man trägt ein neues Leben zu beginnen. Ein Start bei Null, nachdem man schon ein Leben gelebt hat, welches wie ein fallendes Glas in tausende kleine Teile zerspringt.

Syrienreisende, die das Land vor dem Krieg kennen lernen durften wissen, dass man sich in Syrien sicher und frei bewegen konnte und es einem an nichts mangelte. Man konnte Eintauchen in die arabische Kultur, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen erleben und sich fragen warum es im Orient so viel anders wie im Westen ist. Viele Syrer die an ihre Heimat zurück denken und diese Tag für Tag vermissen erzählen meistens von Olivenbäumen, von den Tomaten, von Labneh und Makdous. Das Essen und der Duft der Heimat, ja alles was man mit dem Begriff Zuhause verbindet, haben manchen sogar dazu gebracht wieder zurück zu gehen, den ganzen langen Weg von Europa bis nach Syrien. Zu Fuss und per Boot. In ein Land des Krieges. Aber die Sehnsucht besiegte die Angst.

Seine Heimat – wenn man denn eine hat – in eine ungewisse Zukunft zu verlassen und in dem Bewusstsein, dass man sie vielleicht nie wieder sehen wird löst einen unbeschreiblichen Schmerz im Herzen aus. Die Erinnerungen daran sind bittersüss. Viele tragen diesen Herzensschmerz in sich, weil sie diese Entscheidung treffen mussten. Für Rawan wird es nicht anders sein, denn sie wird Damaskus und ihre Eltern verlassen und nach Deutschland kommen.

Das Mädchen aus Damaskus wird in eine andere Welt aufbrechen, die anderen Regeln folgt und in der andere Dinge als erstrebenswert gelten. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass sie in ihrem Herzen das Erbe bewahren wird, welches ihre Heimat, ihre Familie und ihre Religion ihr geschenkt hat. Sie wird es brauchen wenn sie eine andere Welt betritt, deren Werte mehr dem schnelllebigen Zeitgeist und der Beliebigkeit als dem Glauben unterworfen sind. Aber egal wohin sie kommt, sie weiss in ihrem Inneren immer, dass sie eine Tochter von Damaskus ist. Und es gibt nur weniges was heute so wichtig ist wie Identität und ein geistiges Erbe. Leider wissen das die meisten Menschen erst wenn sie es sich selbst aufbauen müssen, darum kämpfen oder es längst verloren haben.

Letters from Damascus

رسائل من دمشق

…von Enden und Anfängen.

Wenn Dezember kommt, bringt er alles Gute nach Damaskus mit. Der Dezemberregen hat einen anderen Duft in Damaskus, als ob der Himmel Geschenke als Entschädigung für Leid verstecken würde.

Mit diesen einfachen Wörtern voller Emotion reagiert ein syrisches Mädchen auf die Stimmungen in diesem Monat und sie fügte hinzu: Bei Regenwetter beeile ich mich ans Fenster, hole meine Kaffeetasse und werfe vorsichtig einen Blick auf die Stimmungen draußen. Ich lasse meine Fantasie zu jedem Haus, jeder Familie sowie jeder Person schweifen, auf der Suche nach Seelen und Herzen, die noch am Leben sind. Hier geht es nicht um das materielle Leben, es geht um die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ich sehe durch mein aus Holz gerasteltes Fenster alle Jahreszeiten und die kontinuierlich verändernden Lebensumstände, Menschen, die ohne lebendige Seele auf der Straße stehen, sie richten ihre Augen und die offenen Händen auf den Himmel aus. Aber worauf warten sie bei diesem Wetter? Keiner hat die Antwort.

Es ist wirklich anstrengend, wenn man jeden Tag von den Augen der Menschen ablesen kann, was für eine schwere Zeit sie erlebt haben, wie Menschen in zehn Jahren ein Jahrhundert älter werden.

Was für eine Situation ist das, die ich euch versuche zu erzählen? Ist das eine Szene aus einem tragischen Film? Natürlich nicht. Der Dezember in Damaskus ist eine Mischung von Enden und Anfängen. Deswegen schreibe ich diesem Monat: Bitte Dezember, lass uns eine Vereinbarung treffen! Bitte hab es nicht eilig, geh nicht, bevor die Narben total verschwinden. Ich wünschte immer wieder, dass die schmerzhaften Erinnerungen mit dir verabschiedet werden.

Diesen Brief werfe ich in die Luft und warte auf einen neuen Anfang, einen neuen Januar.

Rawan, Damaskus, Syrien im Dezember 2022

Diesen Text hat Rawan selbst auf deutsch geschrieben.

Ein Fenster in Damaskus

نافذة في دمشق

Mit unserem buchstäblichen Auge können wir aus unserem Fenster sehen. Wie wir auf diese Welt blicken hängt davon ab, was wir bisher in unserem Leben wahrgenommen haben. Das ist in vielen Fällen nicht das Gleiche wie das, was wir wirklich gesehen haben. Denn unser Gehirn filtert schön aus was nicht passt auf der Basis dessen, was man uns lehrte und wie man uns sozialisierte. Und der Mensch gewöhnt sich schnell an Umstände, den Lebensstandard und die Vorstellung, dass unser Leben bedeutungsvoll ist, dass wir irgendwie ein Anrecht auf ein besseres Leben und bessere Umstände hätten. Gerade das ist aber nicht so und wenn man das einmal realisieren muss, dann ist es eine bittere Erkenntnis. Das Leben kann sehr schnell einen ganz unerwartet anderen Verlauf nehmen und man muss miterleben, wie man die Kontrolle darüber verliert. Selbst wenn wir es zu etwas im Leben gebracht haben und wir in einer spannenden Zeit mit großen Umbrüchen leben, so wird auch das eine völlig unbedeutende Anekdote im Lauf von Zeit und Raum sein. Das Universum bewegt sich weiter, dehnt sich weiter aus, Planeten zwanzig Mal so groß wie die Erde ziehen ihre Umlaufbahnen 90 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt und sie werden es noch in Milliarden von Jahren tun. Raum und Zeit sind Dimensionen in denen Menschen denken, weil sie wie der Qur’an sagt für Menschen gemacht wurden. Es gibt nur eine Verbindung in eine Welt die größer als diese ist und das ist eine geistige. Vor unserem geistigen Auge können wir viel mehr sehen, eine Vorstellung davon bekommen was da noch alles ist. Interessanterweise erfordert das aber die Eigenschaften von der die Bibel und der Qur’an immer schon gesprochen haben wenn es um diese Verbindung zur geistigen Welt ging, die aber immer seltener werden. Demut, Selbstaufgabe, Einkehr.

Es ist schon erstaunlich wie niedrig diese Latte für alle gelegt ist, die ein offenes Herz haben. Und wie unüberwindlich hoch sie für alle die ist, die hochmütig und selbstgerecht sind. Wie das Kamel, das durch das Nadelöhr gehen muss, ist es für hochmütige Menschen unmöglich in eine Welt zu gelangen, zu der Sanftmut und Demut der Schlüssel ist und der Glauben der Mittelpunkt. “Ich glaube nicht was ich sehe, weil ich sehe was ich glaube.”

Durch ein anderes Fenster in einem anderen Land, in einer anderen Stadt und einem anderen Leben zu blicken kann eine gute Übung sein, um sein Denken und das Bewusstsein zu verändern.

Schliessen wir unsere Augen und stellen uns das Leben vor, den Blick durch ein Holzfenster in der Altstadt von Damaskus. Das Leben der Menschen dort, das schöne levantinische Arabisch, welches wir auf der Strasse hören, wie Menschen mit viel weniger materiellen Dingen als wir klarkommen. Wie der Alltag nach den Gebetszeiten ausgerichtet ist und das schon über tausend Jahre lang. Stellen wir uns vor, wir laufen über die alten Steinstrassen, riechen die Düfte dieser Stadt und hören die Geräusche einer der ältesten Städte des Orients. Vorbei an Händlern mit Teppich- und Metallwaren, die wie schon ihre Vorväter vor Jahrhunderten dort ihrer Arbeit nachgehen. Vorbei an kleinen Scharwarma Imbissbuden. Wir laufen an alten osmanischen Häusern vorbei, dazwischen Ruinen aus römischer Zeit und Moscheen aus der Zeit der Umayyaden. Würde man Damaskus mit zwei Worten beschreiben müssen, dann wäre das Zeit und Hoffnung. Wäre es eines, dann wäre es Vergeblichkeit.

Damaskus ist durch den nun schon zwölf Jahre andauernden Krieg in einer anderen Zeit stehen geblieben. Aber das war in dieser Stadt schon immer so. Eine Stadt, die so viele Epochen menschlichen Strebens miterlebt hat, in der so viele Ideen gekommen und gegangen sind hat sich nur eines durchgesetzt. Dass das menschliche Handeln ohne eine Verbindung zu der anderen Welt stets vergeblich ist. Menschen mögen denken, dass es in ihrem Leben nun anders sein wird, in ihrer Zeit und unter ihren gelebten Umständen. Dieses Mal ganz sicher, denkt man aus einer selbstzentrierten Perspektive. Aber unsere Leben in dieser Welt enden immer auf die gleiche vorbestimmte Weise, so wie die Planeten im Weltall weiter ihre vorbestimmten Bahnen ziehen. Gestern, heute, morgen und übermorgen, wie vor tausenden von Jahren schon. Der Mensch mag Ideen entwickeln und sich selbst erheben und in seinen eigenen Augen weise sein, am Ende wird er immer die Realität erfahren. Ohne Gott ist der Mensch nichts und alles Handeln und Treiben des Menschen wird sich auflösen wie die Spuren einer Karawane im Wüstensand. Damaskus ist ein vernarbter und zu Stein gewordener Jahrtausendzeuge dieser surrealen Welt in der wir leben.

Das Leben durch ein anderes Fenster zu sehen und mit anderen Augen, ist der Weg die eigene Wahrnehmung zu erweitern. Wenn das in uns kognitive Dissonanz auslöst dann wissen wir, wir sind auf dem richtigen Weg aus unserem selbst geschaffenen geistigen Gefängnis auszubrechen. Das Mondlicht, welches Nacht für Nacht auf unsere Erde fällt ist immer das gleiche, egal wo und wie wir leben. Aber wie sehr unser Raum davon erhellt wird liegt an unserem Fenster. Es liegt an uns.

Die Landkarte ist nicht das Gebiet.

“In times of weakness and decay, dreams are expensive.”

Saadllah Wannous, syrischer Dramatiker, † 15. Mai 1997

18 Kommentare zu „Hinter einem Damaszener Fenster

  1. Bewegender Artikel. Wie immer guter Content Black! Ich wünsche Rawan dass ihre Ziele und Wünsche in Erfüllung gehen.

    Happy New Year!

  2. Hat eine Weile gedauert den Artikel zu lesen. Angesichts der vielen Kriege und Konflikte auf der Welt ist Syrien nur ein weiterer. Es ist schrecklich und die Einzelschicksale sind hart. Aber wir können es nicht ändern.

  3. Bei Syrien blutet mein Herz… Einer meiner besten Freunde ist Syrer, er hat alles verloren, seine Familie und Freunde sterben sehen und gibt trotzdem nicht auf.

    Ich hoffe Syrien findet frieden🇸🇾❤️

  4. Es ist traurig meine beste Freundin ist Syrer und war einer der glücklichen die aus dem Chaos raus kam. Sie meinte das sie ein gutes Leben hatte und alles verlor💔 Ich muss sagen die Situation in Syrien ist einfach nur unmenschlich!

  5. Ein wunderschöner Artikel! Ich hoffe den Menschen in Syrien geht es bald besser und das Land kann wiederaufgebaut werden! Aber ein Krieg wird erst beendet, wenn genug Geld verdient wurde. Das ist alles sehr traurig.

  6. Wer den Herrn wirklich kennt, liebt den Herrn. “Im Islam kannst du Gott besser kennenlernen und lernen, dass Er barmherzig, gerecht, großzügig ist, Sünden und Ungehorsam vergibt, zufrieden mit unserer Rückkehr zu Ihm und unserer Reue. Er ist zu allem fähig, sogar zu Dingen und Träumen, die wir denken sind unmöglich. Er hört immer unsere Gebete und ist immer bei uns. Du hast großes Vertrauen in den Herrn, nachdem du ihn gekannt hast.“ Und du kennst Ihn immer noch, du merkst, dass du auf den Herrn vertraust Weisheit, Führung und Barmherzigkeit, die jede menschliche Barmherzigkeit übertrifft, selbst die Barmherzigkeit einer Mutter gegenüber ihrem Kind, du findest dich gezähmt mit Zufriedenheit und Standhaftigkeit, nicht Sturheit und Panik, du weißt, dass die wahre Bedeutung dieser Existenz ein großes Geschenk ist, das Gott dir gegeben hat, dass er dir das Leben gegeben hat, Gott zu kennen und zu lieben. Ich liebe es auch, dass der Weg zu Gott endlos ist, wenn Sie Tag für Tag gehen und die Schönheit des Herrn kennen, während der Glaube an Ihn wächst, Ihre Wahrnehmung sich ändert und Sie das Leben aus einer anderen Perspektive sehen, Zufriedenheit, Dankbarkeit, Vertrauen, Frieden und Ruhe lernen um die Seele auf eine höhere Ebene zu heben. Egal wie müde deine Seele ist, denke daran, dass er an deiner Seite ist, beeile dich zu beten, in der Niederwerfung, sage, was in dir ist, und er weiß, was in dir ist, aber er gibt dir die Gelegenheit zu sprechen! Bei dieser Begegnung fühlst du dich wie in einer anderen Welt, ein kraftvolles spirituelles Gefühl, das all den Schmerz in dir beseitigt und dich zurückbringt, als hättest du nie zuvor gelitten.

  7. “Der Glaube ist der Vogel, der das Licht fühlt und singt, während die Morgendämmerung noch dunkel ist.“

    Danke für diesen Artikel!

  8. اجمل بلد في الوطن العربي هي الشام الشام روح أم حقيقية💔💔💔💔💔💔

  9. Ich hab mir nieee vorgestellt dass ich irgendwann aus damaskus fliehen muss meine Heimat mein Leben und alles was ich bin ist noch dort😭😭😭😭🇸🇾🇸🇾

    Mein Herz zerbricht ….ich kann das nicht alles einmal lesen und muss Pausen machen. Danke wollte ich auch noch für Moschee Artikel sagen. du kannst Herzen berühren es ist eine Amana vergiss es nie.

  10. Guter Artikel aber eines hast du vergessen. Damaskus (Aram) war das größte Königreich der Aramäer ❤️ Es lebe das Aramäische Volk 💛

  11. Der jungen Dame kann man nur alles Gute wünschen und viel Erfolg auf ihrem weiteren Weg! Danke für diese kulturellen Einblicke Häuptling Schwarzwasser. Bedenke aber bitte, dass nicht jeder flexibel genug ist um sich in fremde Kulturen reinzudenken.

  12. من أجل سوريا🇸🇾🇸🇾🇸🇾
    🥺🥺🥺
    Einfach ohne Worte was du schreibst ya mrtn🥺…

    Schön um sich zu erinnern nicht nur für Dimaschq für alle die von Al-Sham sind❤️❤️🤲🏾🤲🏾

  13. 💕Damaskus ist das Paradies. Ich bin Damaszenerin. Ich komme aus dem Land Syrien. Ich liebe Sham ⁦🇸🇾⁩💕

  14. Achiii Martin nächstes Jahr musst du dann mal für Ägypten schreiben, sonst ist das unfair😂

  15. GEPRIESEN SEI JESUS CHRISTUS AMEN.!!!
    Mohammed war NIEMALS von GOTT GESANDT.!!!
    JESUS CHRISTUS IST DER WAHRE WEG UND GLAUBE UND HERRLICHKEIT UND WAHRHEIT, AMEN

    1. Universum – und dann trotzdem so “es gibt keinen Gott!”

      Danke dass du uns den Glauben zurück gibst auch wenn ich noch so unsicher bin.

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