Seit ich dieses Forum gefunden habe, habe ich verstärkt über Religion gedacht. Nicht so sehr "hauptamtlich", aber das Thema war deutlich präsenter bei mir als in den Jahren zuvor, auch und gerade wegen der sehr tief gehenden Austausche dazu - und einigen kontroversen Scharmützeln.
Der Stein des Anstoßes, hier mal ein paar meiner atheistischen Gedanken aufzuschreiben, kam aus dem "Fasten in der Bibel"-Thread, wo es kurz um das IPU (Invisible Pink Unicorn) ging und dann war da vor allem der Kommentar von @Soziologin :
Das ist eine Frage der Perspektive. Religion ist nichts, was man sich aussucht wie seine Kleidung. Und auch keine Laune wie bestimmte Vorlieben. Aber klar, mit dem westlich-atheistisch orientierten Weltbild ist es eben nur ein Einhorn.
Da hat bei mir etwas klick gemacht. Denn auch Atheismus ist nichts, was man sich aussucht wie seine Kleidung, und keine Laune wie bestimmte Vorlieben.
Ich bin atheistisch sozialisiert worden, das heißt eigenlich stimmt das nicht: Ich bin nicht religiös sozialisiert worden. Weder meine Eltern noch die überwältigende Mehrheit meiner sonstigen Bezugspersonen in der frühen Kindheit waren wahrnehmbar religiös. Es gab eine Ausnahme in Gestalt eines Onkels mütterlicherseits, ein sehr frommer Christ mit täglichem Tischgebet und wöchentlichem Gottesdienstbesuch - aber der war für mich vor allem "anders" und nicht die Norm. Zudem lebte er bei meiner Oma, 450 Kilometer weg von Zuhause.
Ich hatte keine Gemeinde, keinen Bibelkreis und vor allem auch keine anderen religiösen Kinder in meinem Alltag um mich herum.
Und so wächst man dann auf, und entdeckt die Welt. Natürlich habe auch ich all die Wunder gesehen, die von Gläubigen gerne der Schöpfung zugeschrieben werden. Natürlich habe auch ich mich mit fundamentalen Fragestellungen und Problemen der menschlichen Existenz konfrontiert gesehen wie Sterblichkeit, Krankheit, Krieg, Leid, dem Bösen, Chaos im Kopf und im Herz und in der Welt.
Ich habe aber, und das ist glaube ich der Grund, warum ich bis heute Atheist bin, nie einen Widerspruch zwischen dem, was ich gesehen habe und dem, was ich über die Welt "weiß", erkannt. Für mich sind all die Dinge, die geschehen, schlüssig. Ich brauche keinen Sündenfall, keine Vertreibung aus dem Paradies, um mir Dinge der menschlichen Natur zu erklären. Als Metaphern taugen mir diese Geschichten allemal. Brudermord, Zöllner, Babylon - alles für mich nachvollziehbar. Ich kann mir auch erklären, warum viele Menschen religiös sind, warum sie es bleiben, was es ihnen gibt, warum sie die Dinge in der Religion tun, die sie tun. Und so lebe ich mein atheistisches Leben frei von Widersprüchen, für die ich eine letzte Instanz eines göttlichen Wesens oder Geistes bräuchte. Und so kann ich über IPU und das Spaghettimonster schmunzeln, und trotzdem verstehen, dass es vielen Milliarden Menschen täglich Kraft gibt, ihre Religion auszuüben. Das ergibt für mich alles Sinn, und so ruhe ich in einer Art stabilem Gleichgewicht in meinem Atheismus, ohne echt Möglichkeit, etwas daran zu ändern (es ist keine Kleidung, die man sich aussucht), aber auch ohne ein echtes Bedürfnis, "die Wahrheit" zu erfahren.
Und an dem Punkt könnte man dann natürlich fragen: Aber ist der Atheismus dann nicht auch eine Art Religion? Nur dass ich eben nicht an ein göttliches Wesen glaube, sondern daran, dass alles irgendwie erklärbar und erforschbar ist, mit noch leistungsfähigeren Teilchenbeschleunigern, noch besseren Weltraumteleskopen, weiteren 200 Jahren wissenschaftlicher Methode? Ja, das könnte man wahrscheinlich sagen. Auch ich halte mich ja an Gebote - nicht an göttliche, aber an weltliche, welche in Deutschland eben doch stark christlich geprägt sind.
Insgesamt geht es mir als Mensch mal besser, mal schlechter. Wie allen anderen Menschen auch. Aber ich kann nichts dafür, dass ich keiner Religion angehöre, und habe in meiner fünften Lebensdekade auch allmählich meinen Frieden damit geschlossen. Und ich werde weiterhin mit großem Interesse die Diskussionen über Religion hier lesen. Danke euch allen dafür, ob ihr nun Muslime, Christen, Atheisten, Juden, Jedi oder Anhänger des IPU seid!
Religiöses Denken ist nach meinem Eindruck auch Folge der Suche nach Identität, denn Religionen stiften sozialen Zusammenhalt und erlauben, sich gegen "die Anderen" (insbesondere gegen die Atheisten und ihr "Wertevakuum der Beliebigkeit") abzugrenzen und sich über sie zu "erheben". Schließlich haben Theisten als Argumentationsverstärker "Gottes Wort" auf ihrer Seite ... und vermitteln damit nicht selten in Diskussionen einen fühlbaren Bedeutungsüberschuss.
Wie auch immer, ich schließe mich @Iki an:
"Und ich werde weiterhin mit großem Interesse (- und in aller Ruhe -) die Diskussionen über Religion hier lesen. Danke euch allen dafür, ob ihr nun Muslime, Christen, Atheisten, Juden, Jedi oder Anhänger des IPU seid!"
Religiöses Denken ist nach meinem Eindruck auch Folge der Suche nach Identität, denn Religionen stiften sozialen Zusammenhalt und erlauben, sich gegen "die Anderen" (insbesondere gegen die Atheisten und ihr "Wertevakuum der Beliebigkeit") abzugrenzen und sich über sie zu "erheben". Schließlich haben Theisten als Argumentationsverstärker "Gottes Wort" auf ihrer Seite ... und vermitteln damit nicht selten in Diskussionen einen fühlbaren Bedeutungsüberschuss.
Diesen Vorwurf würde ich den allermeisten Gläubigen gar nicht machen, die einfach in und an ihrem Glauben über sich hinauswachsen. Eher schon denen, die Religion gezielt instrumentalisieren. Aber überhebliche Atheisten gibt es auch einige...
Diesen Vorwurf würde ich den allermeisten Gläubigen gar nicht machen, die einfach in und an ihrem Glauben über sich hinauswachsen. Eher schon denen, die Religion gezielt instrumentalisieren. Aber überhebliche Atheisten gibt es auch einige...
Ich mache niemandem einen Vorwurf, der ruhig und friedlich sein Leben lebt, ohne seinen Nachbarn zu schikanieren - oder zu agitieren. Egal, ob religiös oder nicht.
Kommentar von @Soziologin :
Das ist eine Frage der Perspektive. Religion ist nichts, was man sich aussucht wie seine Kleidung. Und auch keine Laune wie bestimmte Vorlieben. Aber klar, mit dem westlich-atheistisch orientierten Weltbild ist es eben nur ein Einhorn.
Da hat bei mir etwas klick gemacht. Denn auch Atheismus ist nichts, was man sich aussucht wie seine Kleidung, und keine Laune wie bestimmte Vorlieben.
Religion ist nichts was man sich aussucht wie seine Kleidung, man kann aber dem Verstand freien Lauf lassen und sie abstreifen wie Kleidung. Zumindest in aufgeklärten Ländern, wie den westlich-atheistischen.
Mein Atheismus ist begründet im Grundstudium, genauer Physik 1. Der Prof hat uns das Prinzip der Falsifikation gepaukt.
Wendet man das auf eine beliebige Heilige Schrift an, dann kann man nur noch den Spagat versuchen dies als bloße Metapher / Sage (ich höre schon den Aufschrei der Gläubigen) zu sehen und zu erkunden, was diese an Nützlichem bietet.
Nützliches muss jetzt kein Nutzen für einen selbst sein, wenn die Heilige Schrift besseres Zahnhygiene oder das friedliche Zusammenleben fördert, dann ist das ein Nutzen.
Und so lebe ich mein atheistisches Leben frei von Widersprüchen, für die ich eine letzte Instanz eines göttlichen Wesens oder Geistes bräuchte. Und so kann ich über IPU und das Spaghettimonster schmunzeln, und trotzdem verstehen, dass es vielen Milliarden Menschen täglich Kraft gibt, ihre Religion auszuüben.
Du hast einen Vorteil nicht beschrieben: Man hat nicht das Damoklesschwert des furchtbaren Jenseits über sich, wenn man stirbt ist alles vorbei. Gut dass wir alle sterben müssen, das ist die einzige Gerechtigkeit auf Erden.
.
Religiöses Denken ist nach meinem Eindruck auch Folge der Suche nach Identität, denn Religionen stiften sozialen Zusammenhalt
Bis hierhin mein uneingeschränktes ja
und erlauben, sich gegen "die Anderen" (insbesondere gegen die Atheisten und ihr "Wertevakuum der Beliebigkeit") abzugrenzen und sich über sie zu "erheben".
Das trifft aber auf fast jede Gruppe zu, selbst tumbe Fußballfans reagieren so. Die haben dann nicht Gottes Wort, sondern die Dribbelkünste von kleines, dickes Müller als Argumentationsverstärker.
Ich würde das Rudeldenken nennen und auf die Natur des Menschen (wir leben sein millionen Jahre vorwiegend in Sippen / Kleingruppen) zurückführen. Auch wenn das die Sehnsucht nach der Identitätssuche nicht vollständig erklärt, so erklärt es doch vieles.
die Dribbelkünste von kleines, dickes Müller als Argumentationsverstärker.
Deshalb nennt man manche auch Fußballgott 🤣
Interessantes Thema! Bin auf dem Sprung, deshalb nur in Kurzform...
Mein Atheismus ist begründet im Grundstudium, genauer Physik 1. Der Prof hat uns das Prinzip der Falsifikation gepaukt.
Ich hatte Mathematik und Physik als Leistungsfächer, und dann auch im Studium mit beiden Fächern ausgiebig zu tun. Bis vor ein paar Jahren war ich auch noch ein überzeugter Atheist und Agnostiker (merke, ist nicht das Gleiche).
Problematisch beim Thema Atheismus und Physik ist aus meiner Sicht folgendes: je näher man an Urknall kommt, desto ungenauer und schwammiger wird es.
Um beim Thema Physik zu bleiben: alles in unserer Realität besteht aus Atomen. Der Stuhl, auf dem du sitzt, das Essen dass du zu dir nimmst, du selbst. Also Protonen, Neuronen, Elektronen und Atomkern. Zur Versinnbildlichung: man stelle sich eine grosse Turnhalle vor. Der Atomkern ist ein Tennisball in der Mitte der Turnhalle. Der Rest ist Vakuum sowie negative Elektronen. Das ist der Fall für alle Sachen um uns herum. 99.9% sind Vakuum. Schon krass, oder?
Warum also sind unsere Moleküle so geformt, wie sie geformt sind? Warum sind wir nicht so hart wie ein Tisch, obwohl wir aus den gleichen Elementarteilchen bestehen?
Nur dass ich eben nicht an ein göttliches Wesen glaube, sondern daran, dass alles irgendwie erklärbar und erforschbar ist, mit noch leistungsfähigeren Teilchenbeschleunigern, noch besseren Weltraumteleskopen, weiteren 200 Jahren wissenschaftlicher Methode? Ja, das könnte man wahrscheinlich sagen.
Glaubst du daran, dass es für alles eine Erklärung gibt? Oder glaubst du eventuell auch an Karma o.ä.? Ich frage deshalb, weil ich bis vor ein paar Jahren fast die gleiche Meinung hatte wie du. Wobei ich auch damals schon an eine Art Schicksal geglaubt habe, wenn auch nicht so bewusst. Ich habe mir auch damals schon Fragen gestellt wie: ist das alles? Gibt es nicht vielleicht doch etwas Grösseres dort draussen? Dementsprechend habe ich auch diverse Bücher über (Zen-)Buddhismus und Taoismus gelesen damals.
PS: noch was vergessen... Glauben ist etwas sehr Persönliches. Er hat mit dem, was wir unter Religion sehen und verstehen, sehr wenig zu tun. Ich sehe Christen (Katholiken, Protestanten), radikale Muslime und auch Juden kritisch. Im Prinzip jeden, der auf seine (und nur seine ist die wahre) Auslegung der Dinge besteht. Und ganz allergisch reagiere ich auf Missionierung. Da werde ich schnell zum Rumpelstilzchen.
Das trifft aber auf fast jede Gruppe zu
Was im Übrigen auch zur Diskussion um Frau Schröders Kommentar passt: Wir gruppieren uns eben gern, weil es einfach Vorteile liefert - leider auch nur um des als Gruppe-über-andere-urteilen wegen.
Ich hänge mich (mal wieder) an den mir immer wieder aus der Seele schreibenden @ikigaimondai an. Stimme aber eben anderen Vorrednern zu, dass auch Atheisten sich gern „erheben“.
Letztlich sollte das jeder lassen. Keinem steht ein Recht zu, meinen Glauben, mein Gerüst oder das komplette Fehlen etwas derartigem zu beurteilen.
Problematisch beim Thema Atheismus und Physik ist aus meiner Sicht folgendes: je näher man an Urknall kommt, desto ungenauer und schwammiger wird es.
Wenn Du der Überzeugung bist, dass es vor milliarden Jahren einen Urknall gab, welche Hilfe ist dann eine Institution, welche die Entstehung der Welt vor rund 6.000 Jahre datiert? Ich werde nicht die Frösche bezüglich der Trockenlegung des Sumpfes konsultieren.
Um beim Thema Physik zu bleiben: alles in unserer Realität besteht aus Atomen. Der Stuhl, auf dem du sitzt, das Essen dass du zu dir nimmst, du selbst. Also Protonen, Neuronen, Elektronen und Atomkern. Zur Versinnbildlichung: man stelle sich eine grosse Turnhalle vor. Der Atomkern ist ein Tennisball in der Mitte der Turnhalle. Der Rest ist Vakuum sowie negative Elektronen. Das ist der Fall für alle Sachen um uns herum. 99.9% sind Vakuum. Schon krass, oder?
Warum also sind unsere Moleküle so geformt, wie sie geformt sind? Warum sind wir nicht so hart wie ein Tisch, obwohl wir aus den gleichen Elementarteilchen bestehen?
Ich sehe keinen Anhaltspunkt, dass Einhörner die Antwort auf die Frag nach dem Leben dem Universum und allem sind. Sie tun so (die Einhörner), aber sie sind es nicht.
Warum bin ich mir da so sicher?
Hätte das Einhorn unsere Welt so erschaffen wollen, wie sie heute ist, dann hätte das Einhorn nicht den Weg über Urknall und Milliarden Jahre gewählt. In diesem langen Zeitraum sind so viele Zufälle enthalten, dass auch das intelligenteste Einhorn das nicht vorausplanen kann.
Entweder hat das Einhorn die Welt nicht nur einmal ge-urknallt, sondern unzählige Male bis es endlich zu der jetzigen Welt geführt hat. Das ist nicht nur äußerst unwahrscheinlich, sondern beißt sich mit dem "mir wird kein Haar auf dem Haupt gekrümmt, ohne dass Gott das will".
Oder das Einhorn musste permanent in sein Experiment eingreifen um das gewünschte Ergebnis (Welt wie heute) herbeizuführen. Wir wären dann nur Marionetten in der Hand des allmächtigen Puppenspielers.
Glaubst du daran, dass es für alles eine Erklärung gibt?
Ja, aber selbst wenn wir dabei gewesen wären, bedeutet das nicht, das wir auch alles verstanden hätten. Der Zauberer hat die Jungfrau auseinander gesägt, aber nach der Vorstellung läuft die Dame wieder ungeteilt aus der Manege raus. Ich weiss nicht, wie die das gemacht haben, aber ich habe mich mit dem Zustand "wir wissen nicht alles" abgefunden.
Und das was wir wissen (= weit mehr als vor 100 Jahren), ist für mich genug um vom Nichtvorhandensein des Einhorns auszugehen.
Dafür hätte es auch nicht so ein gigantisches Fass aufmachen müssen, mit einem unendlichen Universum um uns herum. Das wäre auch ein paar Nummern kleiner gegangen. Aber wer weiss, vielleicht hat das Einhorn noch eine Unzahl von anderen (interessanteren?) Zivilisationen auf anderen Planeten "geschaffen" ... und wir sind nur eine unbedeutende Randerscheinung 😉
Nur dass ich eben nicht an ein göttliches Wesen glaube, sondern daran, dass alles irgendwie erklärbar und erforschbar ist, mit noch leistungsfähigeren Teilchenbeschleunigern, noch besseren Weltraumteleskopen, weiteren 200 Jahren wissenschaftlicher Methode?
In meiner Vorstellung gibt es mind. zwei Wege zum Ziel (wenn man für sich zulässt, dass die Menschheit ein Ziel hat). Den Weg der Physik und den Weg des Glaubens. Beide Wege haben erst einmal mit der Erkenntnis zu tun, dass man selbst eine begrenzte Wahrnehmung hat. Der Physiker erkennt Widersprüche im aktuellen Modell und dringt via Quantenphysik in eine erweiterte Wahrnehmung ein. Auf dem spirituellen Weg kann z.B. das Dritte Auge genutzt werden, um die Wahrnehmung zu erweitern. Menschen, die wissenschaftlich begabt sind, werden eher den physikalisch, wissenschaftlichen Weg gehen, solche mit spirituellen Fähigkeiten den esoterischen. Nur weil ich mit meiner begrenzten Wahrnehmung weder die Quantenphysik verstehe noch mein Drittes Auge entwickelt ist, kann ich die Existenz dieser Dinge nicht abstreiten. Leider tummeln sich auf dem Gebiet auch viele Scharlatane, die mit halbgaren Schwurbeleien einiges in Misskredit bringen. Im Kern denke ich jedoch, dass beide Wege sich irgendwann treffen werden und die Menschheit dann am Ziel ist 😀 .
Aber was passiert dann? Weltuntergang? Wir haben fertig? Oder eine weitere Iteration auf einer höheren Ebene? Ist Erkenntnis endlich? Ich höre lieber auf und erweitere mein Bewusstsein jetzt mit Alkohol 😎 .
Wenn Du der Überzeugung bist, dass es vor milliarden Jahren einen Urknall gab, welche Hilfe ist dann eine Institution, welche die Entstehung der Welt vor rund 6.000 Jahre datiert?
Ich gebe dir Recht mit diesem Satz: die Institution Kirche/Religion ist dabei keine Hilfe. Allerdings sollte man aus meiner Sicht Religion und Glauben unterscheiden. Heutzutage haben wir sprachlich gesehen fast eine 1:1 Beziehung. Also ich glaube = ich bin religiös. Das ist meiner Meinung nach aber falsch. Nur weil ich an etwas glaube, heisst das nicht dass ich religiös bin.
Mir persönlich sind die meisten Religionen sehr suspekt, genau weil sie eine Deutungshoheit für sich beanspruchen und meinen, dass sie (und nur sie) Gottes Willen verstehen und verbreiten. BW hat es in seinen Artikeln aus meiner Sicht richtig geschrieben: die meisten Texte die wir kennen haben mit der ursprünglichen Idee nicht mehr viel zu tun. Wobei der letzte Satz sich natürlich wieder auf die religiösen Schriften bezieht.
In diesem langen Zeitraum sind so viele Zufälle enthalten, dass auch das intelligenteste Einhorn das nicht vorausplanen kann
Du schreibst von Vorausplanung und Zufällen. Ich denke dass ein Problem dabei ist, dass wir als winziges Mikröbchen im grossen Ganzen uns anmassen, alles genau verstehen zu wollen. Also mit unserer (sehr beschränkten) Weltsicht denken, dass wir es logisch verstehen können.
So wie ich es lese denkst du, dass alles grösstenteils durch Zufall entstanden ist. Versteh mich bitte nicht falsch: ich hatte bis vor ein paar Jahren die gleichen Gedanken. Wenn jedoch alles (oder vieles) nur Zufall ist: was ist dann der Sinn im Ganzen? Du kannst als Beispiel mal dein eigenes Leben nehmen und zurückblicken. Wie oft hast du Entscheidungen getroffen in deinem Leben, die sich im Nachhinein als wahrer Glücksfall entpuppt haben? Wie viele kleine Dinge sind passiert, damit du dort bist wo du heute stehst? Man kann das im Kleinen anschauen, aber auch im Grösseren. Z.B. der Fakt, dass wir uns über dieses Forum getroffen haben. Natürlich sind wir hier halbwegs anonym unterwegs, aber deine Beiträge haben in meinem Leben auch schon mehrfach Dinge bewirkt (meine eigene Meinung überdenken, andere Sichtweisen kennenlernen etc.). Soweit ich dich verstehe, war das Zufall. Klar, kann natürlich so sein. Bei der Menge an "Zufällen" im eigenen Leben ist es aber schon krass. D.h. nicht, dass unser Schicksal deterministisch vorgegeben ist. Ich denke schon, dass wir Entscheidungsmöglichkeiten und somit alternative Zukunftsmöglichkeiten haben.
Ich weiss nicht, wie die das gemacht haben, aber ich habe mich mit dem Zustand "wir wissen nicht alles" abgefunden.
Ich tue mich zwar weiterhin schwer damit, dass wir "nicht alles wissen", aber ich werde da auch gelassener. Ansonsten kann man es mit Blaise Pascal und seiner Wette halten:
der Erwartungswert des Gewinns, der durch Glauben an einen Gott erreicht werden könne, stets größer sei als der Erwartungswert im Fall des Unglaubens
Oder auch nicht 🙂
Um nochmal zur Naturwissenschaft zurückzuschwenken: auch die Physik geht mit Quantum- und Stringtheorie in Bereiche, die man als Laie eher im Bereich der Esoterik einordnen würde. Oder auch das grosse Themenfeld Paralleluniversen. Klar, kann natürlich auch wieder nur Zufall sein. Mir geht es auch nicht darum, dass das alles von einem grossen Schöpfer erdacht wurde. Dieser Ansatz greift für mich auch zu kurz. Ich glaube, dass es noch mehr da draussen gibt ausser Zufall und Geradlinigkeit in unserer Historie. Nur ist mein kleines Menschenhirn nicht in der Lage, dass alles zu greifen noch irgendwie ansatzweise zu verstehen.
Ein Forschungsbereich, welchen ich auch interessant finde, ist z.B. Epigenetik. Also u.a. die Idee, dass man gemachte Erfahrungen über die DNA an seine Nachfahren weitergeben kann.
Denn auch Atheismus ist nichts, was man sich aussucht wie seine Kleidung, und keine Laune wie bestimmte Vorlieben.
Religion ist nichts was man sich aussuchen kann wie... war ja die Aussage von @Soziologin
Dem stimme ich zu, wenn es wirklich um Tiefe und Sinn geht. Aber, ... man kann sich Religion natürlich durchaus einfach raussuchen. Also ganz nach eigenen Wünschen. Das machen viele Menschen im Westen in den letzten Jahren, wenn wir nur an den Buddhismus-Trend vor einigen Jahren denken.
Da im Prinzip alles als Religion gewählt werden kann...
"Ihr Gott ist wer oder was auch immer Ihre Gedanken die meiste Zeit beschäftigt."
– Rashad Khalifa
kann man sich eine raussuchen und damit sein Leben füllen.
Das Konzept Gott steht aber auf einem anderen Blatt. Denn traditionell geht es in erster Linie um ihn, nicht um uns. (vergleiche westliche Zentrierung und was die Religionen sagen)
Auch Atheismus kann als Religion gelebt werden, ganz klar.
Allgemeines:
Religion und Glauben werden beliebig vermischt. Hier muss man immer erst fragen, was die- oder derjenige genau meint. Und auch die Religionen definieren das unterschiedlich. Im Islam ist Religion und Glauben EINS und austauschbar. So spricht der Qur'an von der schönsten Religion (der Abrahams) und meint damit eindeutig seinen Glauben, denn die Religion gab es ja noch nicht.
Im Christentum sind das zwei getrennte Dinge, außer es handelt sich um die katholische Kirche, die Zeugen Jehovas oder eine ähnlich strukturierte Organisation. Im Islam gibt es keine "Organisation" in dem Sinne.
Im Judentum (forsche gerade dazu, sehr spannend) verhält es sich ähnlich wie im Islam. Hier erfolgt die "Rettung" im wesentlichen durch das Halten der Noachidischen Gebote. Ob man Jude ist oder nicht ist nicht daran gekoppelt. Das werden die wenigsten wissen, die noch nie mehr über das Judentum gelesen haben. Leider haben wir keine Juden in der Community, das wäre auch nochmal interessant.
Religion heute wird im Westen oft auf etwas naiv-infantiles reduziert. Das liegt oft an deren Anhängern, aber auch an dem westlichen Narrativ, dass Religion durch Aufklärung überholt sei.
Das stimmt bei WEITEM NICHT! Denn die Tiefe die Religion zu bieten hat, ist schier unendlich. Nur ist das eben nicht etwas, was man von irgend einem 0815-Kirchgänger oder einem Sektenjünger erfährt. Hier muss man sich Menschen mit entsprechenden Niveau suchen und auch fachlich wirklich einsteigen.
Ein guter Start: https://www.academia.edu
Gott
Die Vorstellung eines allmächtigen, allwissenden Gottes ist interessanterweise in den Menschen kulturübergreifend angelegt, dazu gibt es viele Studien. Erst durch die Sozialisierung wird das in andere Richtungen verschoben. Das trifft sogar auf Kids zu, die in Japan aufwachsen. (was echt abgefahren ist, denn dort hat man ganz andere Vorstellungen)
Wenn Gott der ist der er ist, dann ist er für uns nicht begreifbar und alles was Religion dazu bietet ist nur der Versuch ihn in einer Weise zu erklären, damit wir uns ihn vorstellen können.
Wie sowohl Bibel als auch Qur'an sagen, ist er ausserhalb von Zeit und Raum. Macht ja auch Sinn als Schöpfer aller Dinge. Aber damit muss der Mensch dann eben zugeben, dass er "kleiner" ist und nicht alles versteht. Und genau DAS ist das Problem mit einer westlichen Sozialisierung. Sprecht mit Menschen aus nah- bis fernöstlichen Kulturen, die haben dieses Problem eher selten.
Meine persönlichen Punkte:
Die Verteilung der heutigen Religionen. Die sind historisch begründet und widersprechen dem Konzept "einzig wahre Religion". Wenn es eine einzig wahre Religion gibt (und das die Voraussetzung für eine "Errettung" ist) ist das eher als Glauben (aus Westler Sicht) zu sehen. Die Vorstellung eines allmächtigen und allwissenenden EINEN ist historisch, soziologisch und theologisch "wahr". Aber viel mehr darüber hinaus nicht.
Das bedeutet konkret, um ein Beispiel zu machen, dass das Verhältnis Gott-Mensch doch ein rein individuelles sein muss. Wenn ich als den Ramadan als Fastenmonat nutze, dann hat das nur eine Bedeutung und Relevanz, wenn ich es aus persönlicher Überzeugung mache. Wenn ich es einfach mache weil es Muslime allgemein tun etc., wäre das die falsche Absicht und sinnlos.
Und von diesem Thema Absicht oder Beweggrund spricht doch die die Bibel und der Qur'an ganz klar.
Wenn Du der Überzeugung bist, dass es vor milliarden Jahren einen Urknall gab, welche Hilfe ist dann eine Institution, welche die Entstehung der Welt vor rund 6.000 Jahre datiert?
1. Das machen manche Kirchen/Sekten durch eine wörtliche Auslegung eines hebräischen Texts, der aber theologisch-sprachlich gesehen auch eine sinngemäße Bedeutung haben kann.
2. Nur um vollständig zu sein: der Qur'an behauptet genau das nicht sondern stützt die These einer bestimmten Form des Urknalls und eines sich ausdehnenden Universums.
Wer sagt, dass es einen Sinn im Ganzen gibt? Ist "Sinn" nicht eine menschliche Idee ... und der Natur und dem ganzen Universum ist die menschliche Idee eines "Sinns" vollkommen Wurscht? Vielleicht ist das Ganze vollkommen "Sinn"-frei. Wäre auch möglich 😉
Klar ist das auch möglich. Und es steht jedem frei das zu glauben. Oder auch nicht.
So ist das eben mit dem Glauben. Witzigerweise wird immer betont, wie wichtig genau dieser eben ist.
Persönliches II.
Wissenschaft und der Glauben an den Gott den ich begründet beschrieb ist vereinbar.
Nicht vereinbar ist Wissenschaft und die Institution der heutigen Religion.
Und das führt uns zu einem der Punkte, der mir wichtig ist: ich halte Religion als Institution (nicht als Glaube) für einen Feind. Weil sie den Glauben von Menschen durch ihre Handlungen zerstört und sie oft als gebrochene und enttäuschte Seelen zurück lässt. Das ist wirklich bitter.
Wir sind anders
Eine Collage einiger unserer Stammleser und Community Mitglieder.

Bei uns wird niemand ausgegrenzt. Es gibt keine dummen Fragen, nur gute und durchdachte Antworten. Wir entdecken zusammen neues und bleiben neugierig. Wir achten gemeinsam darauf, dass die Community ein schöner Ort im Internet ist und bleibt. Wir stehen für ein besseres Internet.
Die Blackwater.live Community wurde Ende des Jahres 2022 zu einem “privaten Club”. Wir nehmen nur Menschen bei uns auf, die zu uns passen und behalten uns ausdrücklich vor eine Anmeldung zu unserer Community abzulehnen. Außerdem solltest Du die Community Regeln beachten: HIER. Unsere Seite wird in erster Linie aus Leidenschaft betrieben, nicht aus monetären Gründen. Daher generiert diese Webseite und die Community auch kein Geld. Wir vermeiden damit Interessenkonflikte mit unseren Leserinnen und Lesern.
Blackwater.live Q & A
Ohne Anmeldung/Registrierung und sogar anonym Finanzfragen stellen und kostenlos beantwortet bekommen. Von echten Finanzprofis. Bei Bedarf von einem Ex-Banker.
Blackwater.live Community
Die Community ist unser Forum und digitales Wohnzimmer. Wir sind eine Minderheit im Internet. Maximal 1% der Leser von anderen Finanzblogs passen zu uns, vermutlich trifft das auch auf die Gesamtbevölkerung zu. Warum das so ist und was die Bedingungen der Teilname bei uns sind, erfährst Du aktuell immer hier:
Aktuelle Artikel, die unsere Community betreffen:
6 Jahre, 6000 Kommentare, 200 Artikel
Blackwater.live Update zum Blog
Rette sich wer kann
Rette sich wer kann!